Freitag, Mai 4

Neues von der Front

Wie viel neue Mitbewohner wir innerhalb des letzten halben Jahres gekriegt haben, hat jeder aufmerksame Leser und WG-Besucher wohl sehr anschaulich mitbekommen. Vermutlich auch, um wie viel sich das Klima in unserem Altbautraum verbessert hat & dass man jetzt sogar frohen Mutes und laut glücklich sein kann. Man kann reden wie man will - auch hochdeutsch, und es juckt niemand. Ich kann sogar ein bisschen schwäbisch, allerdings mehr schlecht als recht. Wir besitzen nun ein völlig neues Bade- und Wohnzimmer und auch die Küche ist um einen Schatz reicher. mc hat gelernt, Apfelkuchen zu backen und verziert die Stückchen mit Namensschildchen, sodass für jeden was übrig bleibt. k züchtet Basilikum auf der Fensterbank und ich habe wie immer Angst, aber das vergeht. Mich ängstigt so vieles, aber ich hab das im Griff; Der Wetterumschwung tut das seine dazu, aber eine gute Nachricht kommt stets aus dem Kosovo. Was will man mehr? Als hätte sich die WG gehäutet. Wie eine Schlange, igitt.

Ich versuche einstweilen, zu Ende zu studieren, kann es aber nicht sehr gut*. Parzival ist wirklich ein harter Brocken, doch ein Lob an den alten Bumke, der macht das toll. Ich verstehe ihn. Er erklärt es mir wundervoll. Aber das Thema ist so riesig, dass man nicht weiß, wo anfangen. 7 cm Reclam. Himmelherrgott.

Es ist schon interessant mit anzusehen, wie überfordert ich schlichtweg bin, wenn was Neues passiert - und das tut es ja in letzter Zeit im Wochentakt. Ich sitz’ da wie gelähmt und schau traurig zu, was passiert. Auch erfreuliche Dinge jagen mir diese Lähmung ein, die hält dann ein, zwei Tage an und ich kann nichts dagegen tun - nur hinliegen & zaubern. Warten, bis die Traurigkeit vorüber geht und ich der Lage wieder Herr werden kann. Was passiert da mit mir? Sicher ist auch das böse Wetter schuld. Aber nein, ich weiß nicht, wie ich mich jemals an was gewöhnen soll. Alles verändert sich ständig, so rasant & schnell, dass man es gar nicht mal richtig mitkriegt. Im März z.B. haben wir uns an j² gewöhnt. Das ging ziemlich schnell, weil j² ein anschmiegsamer Mensch ist, der es sich gefallen lässt, wie wir mit ihm umgehen. k und ich hüpfen auf seinem jackblack-Köpfchen herum und irgendwie mag er das, glaub ich. Er isst mit uns, es schmeckt ihm alles & er lässt sich sogar im Siedeln besiegen. Er läuft sogar 6 Stunden lang mit mir im Ikea rum, um Mülltonnen auszuwählen und beschwert sich kaum. Nein, eigentlich gar nicht. Witzigerweise wollte er genau dieselben Sachen kaufen wie ich, z.b. diese tolle Reibe mit Plastikbox unten dran, damit man keinen popligen Teller mehr unterstellen muss. Ikea ist toll. Trotzdem war ich in der ersten Woche, als er kam, total aus dem Häuschen, überall die Schachteln und Kisten – wir erinnern uns.

Diesmal sind gar keine Schachteln da. Der Typ kam mit einer Kiste CDs und einer Kiste Klamotten, fertig. Aber das Gefühl kommt prompt wieder. Eigentlich erstaunlich. Früher, als sich mein Leben in einem kleinen, vergammelten Häuschen am Waldrand abgespielt hat und die einzige Abwechslung die Kaffeekränzchen und Tupperpartys meiner Mutter waren, lechzte ich nach jedweder Veränderung. Auch schlechte Neuigkeiten machten mir Spaß, einfach dass etwas passierte, egal WAS. Wir sind nicht die Menschen, die wir früher waren. Es sieht so aus, als würden wir täglich neu geboren und müssten uns behaupten. Wir wissen nicht was passiert. Was ist, wenn ein Pazifist plötzlich alle Mauern einbricht und keine drei Wochen später schon militärische Paketchen ins Haus flattern, die nach allen Regeln der Kunst um uns werben? Hätte uns das jemand vor zwei Monaten gesagt? – Absurd! Was passiert als nächstes?

Als ich die Tristan-Arbeit geschrieben habe, war ich knapp 22, hatte keine Ahnung, saß mit der Sekundärliteratur und dem alten thinkpad600 im Studentenheimbett und schrieb zusammen, was mir einfiel. Ich mochte Isolde und ich mochte König Marke, den Ärmsten. Aber ein Idiot war er doch, dass er sich das alles gefallen lassen hat. Der Text wurde mit sehrgut benotet und ich glaubte damals an Zufall. Glück gehabt. Als ich ihn neulich las, war ich überrascht, wie unschuldig ich damals noch schreiben konnte. Der Text floss mir aus der Hand und ich wusste nicht mal, dass er gut ist. Die reine, naive Liebe ist die schönste Liebe.

*k


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