Freitag, Oktober 30

Zack und krank. Am allerersten Arbeitstag letzte Woche begann ich bereits, zu schnupfen. Ich ging natürlich weiter zur Arbeit und versuchte, meinen Körper mit allerlei Chemiebomben bei Laune zu halten, die mir schließlich den Magen verstimmten. In den zwei Wochen, seit ich wieder arbeite, war ich mit einer einzigen Ausnahme jeden Abend weg. Das lange Wochenende, das zur Erholung gedacht war, habe ich bei meiner Mutter auf der Haus-Baustelle verbracht. An Entspannung war dort nicht zu denken.
Heute Mittag musste ich dann kapitulieren und zur Ärztin gehen. Sie lachte nur und sagte, bei der Arbeit mit Kindern sei das normal. Jeder Kindergarten hat offenbar seine eigenen Viren, gegen die man erst ein Immunsystem aufbauen müsse. Sie meinte, von diesen Erkältungshämmern profitiere nur die Pharma-Industrie, mir helfe einzig „eine Ruh geben“ und dazu Lindenblütentee. So.
Jetzt lieg ich da und habe Ausgehverbot. Ich zerliege mir sozusagen die neue, teure Frisur. Die morgige Halloweenparty wird ohne mich stattfinden.
Der Mitbewohner aus dem Nebenzimmer ist heute ausgezogen, mit Sack und Pack, Richtung Vorgartenstraße. Das Zimmer ist jetzt unseres. Der Mann und ich lassen die Türen durch den Wandschrank hinüber in das neue Zimmer offenstehen und erfreuen uns der Leere, die jetzt uns gehört.
Dazu Ofenpommes und Fleischlaibchen.
Einen Tag glatte Haare. Wirklich glatt.
Eine pedante Friseurin macht's möglich.
Der Mann ist ganz verstört und will meine Locken zurück.

Mittwoch, Oktober 28

Und dann gibt's da diese Leute, die planen ihr Leben bewusst so. Müsst ich gar nicht.
Ob das irgendwann aufhört, dass sich mein Leben wie ein Provisorium anfühlt?
Immer mit dem Gefühl leben, nächste Woche, ja nächste, da wird endlich alles stimmen, da rennt's endlich. Da haben wir dann genug Zeit, die Dinge zu tun, die wirklich wichtig sind; Hautarzt, wieder mal ausschlafen, endlich die rausgeschobene Prüfung ablegen, meditieren, Sightseeing in der eigenen Stadt, schwimmen gehen, Besuche mit Prioritätsstufe 2 empfangen, mit dem Mann das Wochenende im Bett verbummeln, eine Frühstückskultur auch an Wochentagen entwickeln, auf all die wichtigen Demos gehen, alle Kochbücher auskochen und dafür am Naschmarkt einkaufen. Und nie, wirklich nie, kommt diese nächste Woche.
Stattdessen ein Flickerlteppich von Leben.

Freitag, Oktober 23

Und dann ist da dieses kleine türkische Mädchen, keine vier Jahre alt, zum ersten Mal im Leben in einer Kita. Nach dem Frühstück beginnen ihr die Augen zu tränen, sie sieht verzweifelt zum Fenster hinaus. Blickt auf die Uhr, steht verloren herum, lugt manchmal zum Türspalt hinaus. Ein paar Aufheiterungs-, Ablenkungsversuche und dreimal Naseputzen später ist die Zeit bis zum Mittagessen geschafft. Essen lenkt immer schön ab und teilt den Tag: "Mama kommt? - Nach der Jause kommt die Mama wieder, ja." Aber die zwei Stunden bis zur Nachmittagsjause sind lang. Weinerliche Phasen wechseln sich mit vertieftem Spiel ab. Nach der Jause geht es in den Garten. Das Mädchen steht am Spielplatzrand, genau auf der Grenzlinie, bis wohin die Kinder gehen dürfen und starrt Richtung Eingangstor. Manchmal, wenn wir nicht hinschauen, geht sie ein paar Schritte vor und versucht, einen Blick um die Ecke auf die Straße zu erhaschen.
Gestern morgen habe ich die Mutter zum ersten Mal gesehen, eine schöne, schlanke Frau mit Kopftuch und wachen Augen. Ich versuche ihr die Situation zu erklären und zu erfahren, wann genau das Kind an dem Tag abgeholt würde. Ohne mir zu antworten, wendet sich die Mutter von mir ab, spricht ein paar türkische Worte zur Tochter, lächelt mich an, sagt "Auf Wiedersehen" und geht. Sie hat mich offenbar nicht verstanden.

Wie muss es nun für diese Frau sein, ihr Kind jeden Morgen in unsere Obhut zu geben, ohne sich abends informieren zu können, was den ganzen Tag genau passiert ist, wie es dem Kind wirklich geht, was wir den Tag über tun oder auch nur irgendwie mit unserer Hilfe klären zu können, wie man dem Kind über den Trennungsschmerz hinweghelfen könne.
Sie muss darauf vertrauen, dass wir die Sache zur Zufriedenheit des Kindes mithilfe nonverbaler Kommunikation lösen. Ein Vertrauensgewaltakt.
Wenn ein Rezept schon so beginnt: "Das Hühnerfleisch in mundgerechte Würfel schneiden", verschieb ich das doch lieber direkt in den Ordner "Kochrezepte 2050".

Mittwoch, Oktober 21

Montag 13 Uhr Arbeitsbeginn, wenn man tatsächlich dort gewesen war, bis 18 Uhr und am folgenden Tag um 6.30 Uhr und am drauffolgenden Tag wieder um 13 Uhr und immer so im Kreis fühlt sich allerdings nicht an wie Wochenende. Eher wie ein schwindelerregendes Karusell, dass sich dreht, während es einem die einzelnen Wochentage unter den Füßen wegreißt. Plötzlich ist Freitag und du hast - außer Arbeit - nichts erledigt.

Abgesehen von diesem total verblödeten Dienstplan, der sich durch etwas sanften Druck und gemäßigter Intervention hoffentlich etwas abschwächen und an meinen Biorhythmus angleichen lässt, ist die Arbeit grandios. Vor einer Horde erwartungsvoller Eltern zu stehen, vorgestellt zu werden, meine diversen Ausbildungen runterzuerzählen, erstaunte Blicke im Hintergrund, ein Konzept zu präsentieren, - das fühlt sich doch einfach nur gut an. Kompetente Spezialfachkraft, von der Pieke auf gelernt. So hat sie gesagt.

Danach mit den Kolleginnen 4 Spritzer getrunken. Vier.

Montag, Oktober 19

Montag Arbeitsbeginn 13 Uhr fühlt sich an wie Wochenende.

Mittwoch, Oktober 14

Manchmal hilft nur Reinemachen, außen wie innen. Momentan leuchten bei mir nur die Haare. Herz und der Rest nebelt so dahin.
Die meiste Zeit stehe ich dem Leben ratlos gegenüber.
Ein Seufzer folgt dem nächsten.

Dienstag, Oktober 13

Irgendwie auch wieder gut, dass ich ab nächsten Montag wieder arbeiten gehe. Die eingemümmelte Winterstimmung mit Radiostephansdombeschallung im gemütlichen Wohnzimmer versetzt mich - wider Erwarten - nicht in harmonische Liebesverfassung, sondern in eine eingemachte Novemberdepression. Schnell raus hier. Zum Haarefärben. Leuchtendes Herbstfarbnenrot, falls das geht.

Montag, Oktober 12

Das war nicht immer so.
Wir waren verreist.
Eigentlich wollten wir nur ein paar Wochen mit dem Zelt in den Süden, hauptsächlich Kroatien. Daraus geworden ist eine Fahrt durch mehr als zehn Länder. Der Mann saß am Steuer, ich daneben, den Europaatlas auf meinem Schoß.
So fuhren wir durch Danzig, Warschau, Krakau, Bukarest, Istanbul, Tirana.
Tirana liegt in Albanien. Und Albanien am Meer. Sieht aus wie Griechenland oder Italien, bloß auf der Seite des Meeres, wo niemals wer hinkommt.
Wo auch ich im Leben nicht hingekommen wäre, säße ich nicht am Beifahrersitz eines Mannes, der sagt: Das wird toll, wirst sehen.
Es wurde toll und ich sah.

Dieses Sehen hält immer noch an.
Ich sehe mein Leben und das Leben allgemein, die Menschen, die Stadt, das Land, in dem ich aufgewachsen bin, mit wacheren, klareren Augen.
Ich sehe mich. Ich sehe meine Familie, meine Herkunft, meine Eltern.
Ich sehe meine Ausbildung, meine Schulzeit, meine Kindheit.
Ich sehe meine Beziehungen, mein Erwachsenwerden, meine Sexualität.
All das kann ich plötzlich erkennen, umgrenzen, wahrnehmen, herausfiltern.
All das kann ich jetzt sehen, als das, was es tatsächlich ist.
Dann denke ich, gut gemacht, meine Liebe. Das läuft doch alles ganz hervorragend.

Sonntag, Oktober 11

Wir wurden auch vermisst.
Gestern eine "Soirée" in unserem frisch umgestellten Wohnzimmer ("Heizkörper freistellen und Heizkosten sparen"), dh. drei große Brathenderl, denen wir eine Butter-Rosmarin-Schinken-Speck-Füllung unter die Haut gestopft haben. Dazu Bratkartoffeln, Salat und Linzerschnitte.
Noch bei keinem Essen waren alle derart begeistert, alles weggeputzt bis auf die letzte Kruste am Blech.

Samstag, Oktober 10

Wie banal wir doch alle sind, jeder erlebt dasselbe. Ob sich das lohnt, noch aufzuschreiben? Mit all dem Abstand gesehen mag ich gar nicht mehr meine kleinen Geschichten erzählen, am Frühstückstisch, dem Mann, in der Arbeit, hier drinnen.
Wir leben alle unser kleines Leben und finden es großartig.
Ist es nicht.

Und jetzt weiter im Programm, Biorotwein.

Freitag, Oktober 9

Während unserer Reise wiederholt starke Sehnsucht nach Nikotin. In den meisten der von uns besuchten Länder wird noch an jeder Ecke ohne schlechtem Gewissen geraucht; (das war bei Weitem nicht das einzige, das sich dort anfühlt wie 50er-Jahre.)
Sonderbar, das. Nach fast zweieinhalb Jahren Abstinenz.
Es sind nicht die kleinen Dinge, die man vermisst, wenn man wieder drin ist. Im Leben. Es sind die weiträumigen Gedanken, für die man hier schnell keine Zeit mehr findet, inmitten all der Nichtigkeiten, die plötzlich und mit wildem Nachdruck die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Donnerstag, Oktober 8



Ein original slowakisches Gurkerl, dahinter die hohe Tatra.

Dienstag, Oktober 6

Der kleine Mensch braucht Halt und Konstante.
Der große auch.
Keinen einzigen Freund noch besucht. Stattdessen straffe Abarbeitungsphase. Bergeweise Briefe aufschlitzen, alle über den Sommer fällig gewordenen Rechnungen begleichen, Jahreskarten bestellen, Abonnements verlängern, allfällige WG-Besprechungen, wichtige Telefonate, Gehaltsverhandlung, erste Teambesprechung, Arbeitsamtformulare ausfüllen, sich in Mobilfunkbetreiberfilialsschlangen stellen, Steuererklärungen, Testergebnisse und Arbeitszeugnisse analysieren, Berge von Wäsche waschen, dazwischen kaum Zeit für einen Bissen Brot.

Mann und ich sind wenig begeistert vom Gedanken an einen weiteren nebligen Winter in Wien, inmitten diesen Alltagschaos'.

Freitag, Oktober 2

Schwaben reden so herzlich, man möchte sie permanent knutschen. Ihnen einen Abend lang beim Bierzelten zugesehen, wie sie auf den Bierbänken in Lederhosen (keiner wusste zu sagen, ob die Schwaben eigene Trachtkultur besäßen, oder ob es sich um "bayerischen Kulturimperialismus" handle) riesige Maßkrüge leerten und zu Bands namens Pommfritz oder Gsälzbär schunkelten. Da lernt man ganz schnell, woraus die urschwäbische Seele gestrickt ist, die den Mann geprägt hat.

Donnerstag, Oktober 1

Wir sind ja nun wieder zurück.

Es wird eine ganze Weile dauern, bis ich davon erzählen kann. Wie es war, drei Monate lang zu zweit in einem kleinen Opel Corsa, nur mit einem Europaatlas und einem kleinen grünen Zelt ausgerüstet, durch Ostdeutschland, Polen, Slowakei, Rumänien, Bulgarien, Türkei, Makedonien, Albanien, Montenegro und Kroatien zu tingeln. Wie es war, in einem großen Bogen Ost- und Südosteuropa, über kleine, löchrige Landstraßen holpernd, zu durchkreuzen. Wie es einem unweigerlich das Leben verändert und man bei der Rückkehr ins gediegene Wien dagegen ankämpft, über dem einbrechenden Alltag jene klaren, wichtigen Gedanken zu vergessen, die man während so einer Reise zu fassen in der Lage war. Wie jeder Satz, den man zu Hause erzählt, zu einer Anekdote verkommt und man bemerkt, dass man die Großartigkeit, die sich tatsächlich ereignet hat, nicht in der Lage ist, jemandem nahezubringen, der nicht dabeigewesen ist.

Der Mann und ich liegen demnach immer noch auf unserer Insel, allein.