Donnerstag, Dezember 8

Abschied

Es gibt viel zu tun. Ich war ganz naiv gewesen. Wie überhaupt die ganze Zeit, seit ich verlobt, schwanger, beinah geheiratet, bewohnungt mit Garten bin. Es war mir schwer gefallen, von der Arbeit Abschied zu nehmen, einfach zu gehen. All das hinter mir zu lassen, woran ich jetzt über zwei Jahre gearbeitet habe. Fünfundzwanzig Kinder waren auf mich angewiesen, hatten sich an mich gewöhnt, waren auf mich eingespielt, hatten mit mir den Alltag bewältigt und das in ziemlicher Harmonie und überhaupt sehr angenehmer Atmosphäre. Mein Assistent hatte mir zugearbeitet, hatte mir viel Arbeit abgenommen und wenig Probleme beschert, einzig die Kolleginnen waren manchmal anstrengend. Sehr.
Lange habe ich nicht erzählt, dass ich schwanger bin. Weil ich gerade im September eine Gruppe übernommen hatte, deren Erzieherin erst im Februar in Karenz gegangen war. Weil die Kinder (und Eltern) das schon einmal erleben mussten, dass jemand weggeht, an dem sie sehr gehangen waren. Mit dem es prima war, zusammenzuarbeiten. (Das war übrigens meine kleine Schwester gewesen.)
Am Ende freuten sich die meisten für mich, beehrten mich mit großzügiger Anwesenheit an einem Samstag vormittag bei einem gemeinsamen Abschiedsfrühstück, schrieben liebe Dinge auf Glückwunschkarten und ich konnte beherzt nach Hause gehen. Mit einem Ikea-Sackerl voll Geschenke.
Die Kolleginnen hingegen saßen beim Abschiedsbrötchenessen, das die Chefin organisiert hatte, bedrückt herum, niemand lachte, alle flüsterten. Zuerst dachte ich, die freuen sich gar nicht für mich. Und das, obwohl ich sogar den bevorstehenden Hochzeitstermin verraten hatte. Verhaltene Gratulationen, die meisten sagten gar nichts.
Blumen, nette Geschenke, und jetzt geh bitte, wir haben Teamsitzung.
Später meinte die Chefin, es sei auch für die Kollegen nicht leicht, sich umzustellen, jemanden gehen zu lassen, den man ernsthaft kennengelernt hatte und auf den man sich gut verlassen konnte.
Die neue Kollegin hatte ich nicht mal mehr kennengelernt. Sie geht jetzt jeden Morgen an meinerstatt hin und macht meine Arbeit. Während ich freigestellt bin und einen immer größer werdenden Bauch herumtrage.
Das ist jetzt meine Arbeit. Vorbereitung.

Ich war naiv, weil ich mir nicht vorstellen konnte, was es zuhause zu tun gäbe. Wie man soviel plötzliche Freizeit sinnvoll füllen könnte, ohne depressiv zu werden. Mitten im Winter! Darum habe ich dann auch rechtzeitig geschaut, dass ich Dinge zu tun habe, die nicht ganz ausschließlich dem Familiegründen zuträglich sind. Neben der Organisation einer Minimalhochzeit (4 anwesende Personen am Standesamt), Babys Dinge besorgen, heimtragen, ausborgen, waschen, rumräumen, Arztterminen, Turnen, Geburtsvorbereitung noch etwas freiberufliche Denkarbeit im Homeoffice.
Das geht ganz gut, bisher. Es gibt genug zu tun.

Samstag, Dezember 3

"Sie stehen bei der Gartenwohnung an 1. Stelle!"

Jemand war kurzfristig von einer Erdgeschoßwohnung mit Terrasse und Garten abgesprungen, während der Mann zufällig zur richtigen Zeit auf der richtigen Seite auf den richtigen Button gedrückt hatte. Drei Tage später kam ein Anruf von der Genossenschaft: Sie stehen bei der Gartenwohnung an erster Stelle, entscheiden Sie bitte bis Freitag. Ohne Besichtigung, nur anhand von Plänen! Der Bau war noch nicht fertig und der Polier nicht gewillt, einmal die Wohnungstüre für uns aufzusperren. "Wenn Sie nicht wollen, ich habe eine ellenlange Liste mit Leuten, die sofort zusagen."
Empörend, doch die Wartezeit auf so eine Wohnung beträgt normalerweise 1,5 bis 2 Jahre. Wir hatten einen Monat gesucht. Also packten wir nach 6 Jahren WG-Zeit vierzig Kartons und zogen aus dem inneren Herzen des Gürtels, wo wir nicht einmal einen kleinen Balkon gehabt hatten, weit raus nach Transdanubien in Dreizimmer mit Garten. Fünf Minuten Fußweg von der alten Donau entfernt, wo man scharenweise Schwäne und Tretboote beobachten kann. 12 Minuten Fahrradweg in meine Arbeit. Südseite.

Am Tag des Umzugs, ca. anderthalb Stunden, bevor der Umzugswagen mit den Möbelpackern vor der Tür stand, wurde mir plötzlich über einer aufgewärmten Lasagne vom Vortag klar, dass mir seit einer Woche schlecht war und es auch vom Essen nicht besser wurde. Während ich noch die ganze Zeit gedacht hatte, der Umzug stresse mich sosehr, dass mir davon permanent übel und ich abends um neun am liebsten ins Bett gefallen wäre, marschierte ich plötzlich zur Kiste mit den Medikamenten, kramte eine rosa Packung heraus und wusste drei Minuten später Bescheid.
Als der Mann zufällig am Klo vorbeiging, rief ich ihm genauso liebevoll wie unvermittelt durch die verschlossene Türe zu: Fuck you, ich bin schwanger!

Donnerstag, Dezember 1

Der Wunsch aus 2009 nach einer Mieze und einem iphone, die bald ins Haus kämen, hat sich nun erfüllt. Und vieles mehr. Der Mann und ich haben uns aus dem WG-Leben verabschiedet. Eines kalten Februarmorgens begann der Mann die Genossenschaftsseiten systematisch zu durchstöbern. Mit dem Ziel, noch diesen Sommer auf einem eigenen Balkon zu frühstücken. Oder Garten. Ich hielt die ganze Idee zu dem Zeitpunkt noch für total abstrus. Wir hatten es schön in der WG. Es gab viel Platz, wir hatten ein Schlafzimmer, ein Büro und ein großes Wohnzimmer, das von den anderen kaum benutzt wurde. Niemand störte uns. Und doch wollten wir endlich alleine wohnen.
Um meinen dreißigsten Geburtstag herum kam es mir immer seltsamer vor, mich erst anziehen zu müssen, damit ich nachts aufs Klo gehen konnte.
Wie so oft, wenn der Mann etwas angeht, wird relativ schnell und relativ viel daraus. Wir rutschten recht rasch auf vordere Plätze in der Vergabereihung. Zusammen mit meiner damals hochschwangeren Schwester liefen wir durch den 21. Bezirk und besahen uns riesige betonerne Neubaublöcke, allesamt mit Loggien oder Dachterrassen.
Wir entschlossen uns, der Stadtmitte den Rücken zu kehren. Etwas Leistbares mit annehmbarer Freifläche war innerhalb des Gürtels nicht zu finden, Gärten so gut wie unbezahlbar.

ff

Montag, Oktober 3

Dass das aufregendste, spannendste Jahr meines Lebens bisher nur läppische drei Postings aufweisen kann, ist traurig und wahrhaftig zugleich. Zu viel Leben, zu wenig Zeit.

Montag, Jänner 10

Schade, das war ein schwaches Jahr. Nur 51 Einträge, 2009 waren es noch satte 173. Kaum geschrieben, trotzdem nicht weniger nachgedacht, trotzdem nicht weniger entwickelt. Es läuft besser. Es läuft geradeaus. Es gibt weniger Zweifel. Und woher kommt das? Alles kompakter, alles intensiver, sicherer, gefilterter. Mehr Konzentration auf das Wesentliche, weniger Ablenkung, weniger Aufreibung, weniger Einfluss anderer Menschen. Vielleicht bedeutet Erwachsenwerden, sich unabhängig machen. Sich vor allen Dingen unabhängig machen von der Meinung anderer. Einfach sich selbst sein und gut is. 2009 war trotzdem ein tolles, aufgeschriebenes Jahr. In echt war es, zumindest im ersten halben Jahr, richtig schrecklich. Die Reise zu tun, war die beste Entscheidung unseres Lebens. Sie gab uns Auftrieb, sie gab uns Essenz. Auf den rumpeligen Straßen Rumäniens haben wir einen wichtigen Teil unseres Selbst gefunden, der Zuhause nie aufgetaucht wäre. Wer hätte das gedacht. Lachen wir gemeinsam über die euphorischen Jakobswegtouristen, ich verstehe sie.