Samstag, September 22

Gestern Abend nach einem Siedlerspiel.

Alles hat vorerst gut begonnen. Ich sitze mit 2 fetten Städten an einer Gold-Neun und einem Gold-Fünfer und kann mir ständig 2 Rohstoffe freier Wahl aussuchen. Jeder andere könnte unter diesen Bedingungen haushoch gewinnen. Ich schaffe es damit lediglich auf Platz drei.
Zwischendurch nimmt dieses Spiel erschreckende Ausmaße an. Der Wurm, der Siedler ohnehin nur nebst von uns zur Verfügung gestelltem Schnaps zu spielen bereit ist, nimmt plötzlich meinen aktivierten Doppelritter vom Feld. Der Kerl hatte den Wurm massiv dazu animiert. Ebenden Ritter hätte ich aber extrem gerne darauf verwendet, einen verschissenen Seeräuber zu vertreiben, der mir seit gefühlten 84 Runden die Besiedelung einer neuen Insel verwehrte.
Meine Wut gegenüber dem affigen Piratenschiff, dem Kerl, der den Wurm davon überzeugt hatte, dass ich ein viel besseres Opfer für dieses Attentat wäre als er selbst, und der Wurm, der sich überflüssigerweise zwischen Kerl und mir zu entscheiden hatte, bringen mich völlig aus der Fassung. Ich laufe für einen Augenblick aus dem Zimmer, um mich zu fangen.
Stopp erst mal! So etwas passiert uns sonst doch nie. Wir gehören nicht zu den WGs, die Siedler von ihrem Abendprogramm zu streichen gezwungen sind, weil sich dabei Kämpfe auftun, die dem friedlichen Zusammenleben nicht länger zuträglich sind.

Doch diese Szene bringt das Bild ins Wanken.

Kurz zuvor war noch alles obenauf gewesen. Das kleine Mädchen und der Wurm hatten Bier und Essen herangeschleppt, eine Bekannte j²s (trockenen, aber immerhin!) Kuchen. Es sind 6 Spieler beisammen, die sich grundsätzlich gern mögen. (Das war in dieser Wohnung nicht immer so selbstverständlich.) Dazu Wein oder wahlweise Tee mit Rum. (Ich sehe bewundernd zu, wie j²s Bekannte den kompletten Abend mit Wasser zubringt und nehme mir vor, ihr das bald mal nachzumachen.)
Irgendwas aber ist losgetreten worden. Der sonst so sanfte, völlig gelassene Wurm, der die Welt so bewohnenswert findet, dass er noch mind. 40.000 Mal reinkarnieren wollte, setzt mit einem Mal eine eiserne Miene auf, die nicht mal durch feinsten Büffelgraswodka erheitert werden kann. Der Rest des Spiels vergeht schnell, aber etwas verkrampft; das Kuchenmädchen geht irgendwann nach Hause.
Die interne WG plus Wurm sitzt rund um den Tisch und räumt Siedlerfiguren in kleine, von Kerls Oma genähte, farblich abgestimmte Säckleins mit Bortenrand.
Jemand beginnt ein bisschen zu sprechen. Über Menschen und solche, die keine Emotionen zeigen können. Ich sitze ratlos da und höre an, was ich kaum begreifen kann. Ein Tisch voll trauriger Menschen, die sich zu einem fröhlichen Brettspielabend getroffen haben. Ein Tisch voll trauriger Menschen, ich mittendrin.
Gleich am nächsten Morgen, fast ohne Grund: Vielleicht kann man Tränen statthalber weinen. Für Menschen, die irgendwann damit aufgehört und welche, die es verlernt haben. Wenn das funktioniert, so müsste es heute zumindest allen besser gehen. Ich jedenfalls
habe mein Bestes getan.

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