Donnerstag, September 13

Die Suche, Tag 1.

Gestern gab es hier einen sehr lauten Tag. Morgens um 9 die gesamte WG plus Besucherbesatzung unsanft aus den Federn geworfen, den Dreck und die Bierdosen vom Vortag weggeräumt, Kaffee für 10 Leute gekocht (wir haben irgendwo ganz oben im Wandschrank eine zweite Kaffeekanne, die ganz genau dazupasst, man sollte sie mal runterholen, Kerl.), Frühstück hergerichtet, gespannt auf die erste sich vorstellende Person gewartet - kommt nicht. Nachdem Frühstück drapieren sich alle Anwesenden auf das Sofa und die Rauchenden rauchen morgens um 10 in den bald übervollen Aschenbecher rein, was dazu führt, dass die Wohnung extrem auskühlt, weil man das Fenster offenhalten muss. Es klingelt. Eine aufgedrehte Deutsche mit Haarreifen und ziemlich netten Interessen (die meinen sehr ähnlich sind) hat 30 Minuten Zeit, sich uns zu präsentieren. Sie macht ihre Sache nicht schlecht. Zwei Stunden später schreibt sie ein SMS, das bekräftigen soll, wie toll sie uns/die Wohnung/alles findet. "Ich hoffe!", schreibt sie.
Ein schwuler, fairtradekaufender, wodkaeinfrierender Deutscher setzt sich auf den Präsentierstuhl und erzählt uns von seiner jetzigen Wohnung am Brunnenmarkt: Dachgeschoss, Ölofen, Heizöl von der Tanke holen, hochschleppen, kein Lift. Wir empfinden Mitleid und verstehen, warum er umziehen möchte. Die nächsten drei bis vier Kandidaten lassen uns sitzen. Wir bekommen allmählich Panik, rufen die Liste durch und stellen entsetzt fest, dass Leute heutzutage Termine nicht mehr einhalten. Zumindest nicht solche, die eine Woche vorher ausgemacht wurden. Abzusagen ist auch nicht mehr so in. So ist unsere Zeit, himmelherrgott. Anzeige neu reingestellt, Terminlücken ausgefüllt, heute überbucht. Aber besser, als wenn niemand käme. Hausfreundin/Gratzer McDonalds-Mann kochen Chili für 10 Personen, mit Salat.
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Es klingelt.
Ich muss rübergehen und jemand suchen, der uns mag.
Es ist nicht einfach, weil wir total überdreht, voll Koffein und Restalkohol uns nicht mehr konzentrieren können.

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Es ist interessant zu sehen, wie die Leute ihre Leben führen. So außerhalb unseren Sphären. Wieviele deutsche Männer es gibt, die ihren Frauen nach Wien folgen, und dass langsam die Zeit kommt, wo ebendiese Männer wieder alleine wohnen. Letztes Jahr, als der erste große Schwall kam und wir Leute gesucht haben, waren alle noch guter Dinge. Diesmal heißt es oft, 'ich habe mit meiner Freundin zusammengewohnt und such jetzt allein was'. Manche fahren auch als Physikstudenten nach China und kommen zurück mit dem Vorsatz, ab nun Sinologie studieren zu wollen, um die Welt zu retten. Es gibt soviele Lebensmodelle und unseres ist ziemlich genau definiert, wie wir festgestellt haben: wochentags viel Arbeit und Ruhe, abends gemeinsam Essen, sonntags putzen, Freundschaft, Wein, Abrechnung.
Uns brennen die Nerven. Aber wir müssen durchhalten, 8 Leute kommen noch. Es muss der Richtige dabei sein, bitte. 'Ich hoffe!'

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