2. meine Diplomarbeit ist sowas von fertig. Ich bringe sie morgen zum Binden. Jippieyeah, kaum zu fassen, aber wahr. Und noch dazu f-e-h-l-e-r-l-o-s. Der beste Korrekturmann
3. j² geht sonntags spazieren.
Die erste der sechs Fragen ist fertig ausgearbeitet. Die Prüfung geht in 2 Monaten über die Bühne, wenn ich es bis dahin schaffe, den Bürokratiekram erfolgreich zu erledigen. 3 Wochen bin ich an der ersten, verhältnismäßig wichtigsten Frage gesessen. Mit der ersten Frage steht und fällt die Prüfungssituation. Da muss alles stimmen, damit ich mich danach etwas verhaspeln kann, falls nötig. Dramen von Lenz, Goethe, Klinger und Wagner gelesen, in denen es primär um sexuelle Beziehungen zwischen den verschiedenen Ständen und einem daraus resultierenden Kinds-, Bruder- oder Selbstmord geht. Richtig auswendig kann ich noch nichts. Ich frage mich, wie andere Menschen lernen. Merken sie sich das alles beim Durcharbeiten? Ich muss zumindest Stichwörter auswendig lernen, um mich an den Kontext zu erinnern.
Nach 3 Wochen bin ich allerdings gut im Arbeitsfluss, Motivationsprobleme gibt es sogut wie keine. Zurzeit stehe ich um ca. halb 9 auf, frühstücke, dusche, bändige meine Haare, lese ein bisschen Kultur- und Medienteil vom Standard und ein paar neue Blogeinträge, koche mir eine Kanne Früchtetee, schäkere ein bisschen mit dem Kerl, räume das Zimmer auf, mache das Bett. Dann ist es in der Regel kurz vor 11 und ich lerne bis 2, halb 3. Mittagsjause, kurz ins Bett legen, entspannen. 15.30 Uhr bis abends um 6, 7 weiterlernen. Da komme ich durchschnittlich auf ca. 6 Stunden Lernzeit, wobei ich mir zwischendurch meistens ein Abendessen ausdenke und dazu ein bisschen hier herumschaue, um dann eine Nachricht zu schicken, was dafür einzukaufen ist. Das dauert bestimmt eine halbe Stunde. Ich mag es, mir schöne Mahlzeiten für meine Mitbewohner auszudenken. Danach koche abwechselnd ich oder der Kerl, wer eben grad mehr Lust dazu hat. k und j² spülen die Küche. Mittwochmorgens brauche ich länger, da muss ich den frischen Falter lesen, sonntags wird geputzt und danach gibt es Pasta nach Uli-Mamas Art, die das Rezept wiederum von ihrer Schwiegermutter aus Südtirol hat. Montags gibt’s abends jede Menge Serien; bei Grey's Anatomy sitzen nur noch j² und ich da.
So ist das hier bei uns. Und wir mögen das. Wir sind momentan ziemlich gut eingespielt, es könnte kaum besser klappen. Aber ab morgen wird sich das alles wieder ein bisschen ändern, denn heute Nacht zieht ein neues Mädchen (v) bei uns ein. Sie wird genau gegenüber vom begehbaren Wandschrank wohnen, Richtung Süden, mit dem Kirchturm als Uhr. Wenn wir beide die Tür zum Wandschrank öffnen, können wir uns von den Schreibtischen aus zuwinken. Bisher hat in dem Zimmer, wo sie einziehen wird, noch niemand gewohnt, mit dem ich das hätte tun wollen. Wird es diesmal anders sein?
v kommt aus der Nähe von Freilassing, ganz nah bei Salzburg, ganz knapp auf der deutschen Seite der Salzach. Wir kennen sie nicht, aber sie hat ein sehr freundliches Gesicht, schöne Haare, berät zurzeit Studienanfänger und ist immer schon mit Biozeugs aufgewachsen, sagt sie.
Alles hat vorerst gut begonnen. Ich sitze mit 2 fetten Städten an einer Gold-Neun und einem Gold-Fünfer und kann mir ständig 2 Rohstoffe freier Wahl aussuchen. Jeder andere könnte unter diesen Bedingungen haushoch gewinnen. Ich schaffe es damit lediglich auf Platz drei.
Zwischendurch nimmt dieses Spiel erschreckende Ausmaße an. Der Wurm, der Siedler ohnehin nur nebst von uns zur Verfügung gestelltem Schnaps zu spielen bereit ist, nimmt plötzlich meinen aktivierten Doppelritter vom Feld. Der Kerl hatte den Wurm massiv dazu animiert. Ebenden Ritter hätte ich aber extrem gerne darauf verwendet, einen verschissenen Seeräuber zu vertreiben, der mir seit gefühlten 84 Runden die Besiedelung einer neuen Insel verwehrte.
Meine Wut gegenüber dem affigen Piratenschiff, dem Kerl, der den Wurm davon überzeugt hatte, dass ich ein viel besseres Opfer für dieses Attentat wäre als er selbst, und der Wurm, der sich überflüssigerweise zwischen Kerl und mir zu entscheiden hatte, bringen mich völlig aus der Fassung. Ich laufe für einen Augenblick aus dem Zimmer, um mich zu fangen.
Stopp erst mal! So etwas passiert uns sonst doch nie. Wir gehören nicht zu den WGs, die Siedler von ihrem Abendprogramm zu streichen gezwungen sind, weil sich dabei Kämpfe auftun, die dem friedlichen Zusammenleben nicht länger zuträglich sind.
Doch diese Szene bringt das Bild ins Wanken.
Kurz zuvor war noch alles obenauf gewesen. Das kleine Mädchen und der Wurm hatten Bier und Essen herangeschleppt, eine Bekannte j²s (trockenen, aber immerhin!) Kuchen. Es sind 6 Spieler beisammen, die sich grundsätzlich gern mögen. (Das war in dieser Wohnung nicht immer so selbstverständlich.) Dazu Wein oder wahlweise Tee mit Rum. (Ich sehe bewundernd zu, wie j²s Bekannte den kompletten Abend mit Wasser zubringt und nehme mir vor, ihr das bald mal nachzumachen.)
Irgendwas aber ist losgetreten worden. Der sonst so sanfte, völlig gelassene Wurm, der die Welt so bewohnenswert findet, dass er noch mind. 40.000 Mal reinkarnieren wollte, setzt mit einem Mal eine eiserne Miene auf, die nicht mal durch feinsten Büffelgraswodka erheitert werden kann. Der Rest des Spiels vergeht schnell, aber etwas verkrampft; das Kuchenmädchen geht irgendwann nach Hause.
Die interne WG plus Wurm sitzt rund um den Tisch und räumt Siedlerfiguren in kleine, von Kerls Oma genähte, farblich abgestimmte Säckleins mit Bortenrand.
Jemand beginnt ein bisschen zu sprechen. Über Menschen und solche, die keine Emotionen zeigen können. Ich sitze ratlos da und höre an, was ich kaum begreifen kann. Ein Tisch voll trauriger Menschen, die sich zu einem fröhlichen Brettspielabend getroffen haben. Ein Tisch voll trauriger Menschen, ich mittendrin.
Gleich am nächsten Morgen, fast ohne Grund: Vielleicht kann man Tränen statthalber weinen. Für Menschen, die irgendwann damit aufgehört und welche, die es verlernt haben. Wenn das funktioniert, so müsste es heute zumindest allen besser gehen. Ich jedenfalls habe mein Bestes getan.
oder am Ende kommt es anders als man denkt.
Besagte Dame, nennen wir sie ein letztes Mal bunte Person, kam pünktlich an jenem Abend mit einer durchaus ansehnlichen Freundin, mit der sie derzeit übergangsweise ein Zimmer bewohnt, zum Abendessen.
Als allererstes stürmte sie unsere Küche. Darin war der Kerl gerade an einer phantastischen Tomatensauce zugange. Sie 'wollte es sich nicht nehmen lassen’ und briet zusätzlich allerhand mitgebrachtes Zeug an, bepinienkernte Ruccolasalat, und streuselte Parmesan drüber. Alles feinsäuberlich eingepackt, vorgeschnitten, mitgezerrt, in Tupperschüsseln. Rotwein hatte sie keinen dabei.
Ich selbst wusste ab dem Zeitpunkt, da sie, selbst zum Essen eingeladen, Essen heranschleppte und unsere Küche töpferausreißend aus dem Gleichgewicht brachte, dass Kerl und ich sie in unserer wohleingekochten, harmonischen Koch- und Backstube nicht haben wollen würden. In Wirklichkeit ist es uns sehr recht, dass in dieser Küche nur wir beide ernsthaft Töpfe rausreißen und Suppen pürieren. Der Parmesansalat war wirklich gut, keine Frage. Aber der Abend begann bereits merkwürdig.
Die Situation gefiel mir nicht, genauso wenig wie der Humor, den die Dame zu Tisch pflegte (Gammelfleischwitz, hahaha) oder die Tatsache, dass sie vier Jahre lang glückliche H & M-Mitarbeiterin gewesen war. Menschen, die bei H & M vier Jahre lang glücklich sein können, sind mir suspekt, jawohl. Ich wollte ihr indes vertraulich vom Keniamann erzählen, der drei Jahre lang unter dem System besagter Kleiderkette zu leiden gehabt hatte, und hoffte so ein tiefergehendes Gespräch anzetteln zu können.
Allein, das interessierte sie nicht. Im kleinen Trier, wo sie herkam, war das alles toll und total familiär gewesen.
Zum Glück hatte der Kerl noch andere, äußerst nette Menschen eingeladen. Mit denen spielten wir dann alle zusammen Mafia und Black Stories, ohne uns weiter ausführlich mit Frau Laut unterhalten zu müssen. Für Mafia benötigt man mindestens acht Spieler, soviele kriegt man selten in halbwegser Nüchternheit zusammen, dafür war der Abend ideal.
Irgendwann ging sie nach Hause, wohl ahnend, dass vor allem wir beiden Mädls sie nicht ernsthaft leiden konnten; mit j² hatte sie sich ganz nett unterhalten und der Kerl war der Mitbewohnersuche ohnehin längst überdrüssig geworden.
Am Ende saßen wir zu viert betrübt, aber doch irgendwie erleichtert im Wohnzimmer und überlegten, was zu tun wäre. Schnell war klar, dass wir ihr absagen mussten. Ich selbst konnte es mir beim besten Willen nicht vorstellen, die Frau am nächsten Morgen anzurufen und ihr brühwarm ins Telefon zu säuseln, wie leid uns alles täte, aber…? Aber was? Dass wir sie nicht abhaben konnten? Sie zu laut, zu bunt, zu aufdringlich war?
Die Entscheidung fiel letztlich doch auf den netten Typ. Ein Dresdner. Hat eine Band, treibt entsetzlich viel Sport, Fernbeziehung nach Braunschweig, Eltern mit Wohnmobil. Mehr wissen wir nicht. Wir können uns eigentlich nur noch an das Gefühl erinnern, das wir hatten, als er da war um das Zimmer anzusehen. Auf dem Zettel, auf dem er seine Telefonnummer hinterlassen hatte, finden sich folgende Kommentare von uns: Kleines Mädchen + + supi; j² OK; Kerl: +++++, ich: ein aufgemaltes Herz.
Mit Abstand die beste Bewertung aller Bewerber.
j² hat sich schließlich ohne großes Gezeter bereiterklärt, der Dame den Korb zu geben. j² ist überhaupt ein sehr Guter. Der überhaupt Beste wäre er aber, wenn er sich am diesjährigen Falter-Abo beteiligen würde (14,50 ist doch ein Klacks für dieses Blättlein, das mittlerweile sehr gute Kontakte zur ZEIT pflegt; offenbar bastelt ein Zeit-Designer am neuen Relaunch. Die Zeit mögt ihr doch alle, Piefkes.)
Das Mädchen, das nun geheiratet hat, war meine erste wirklich gute Freundin. In der Forschungsliteratur nennt man diese Person im Leben einer Frau Pubertätsfreundin. Jede Frau hat für gewöhnlich so eine Freundin. Es handelt sich also um eine für die weitere Entwicklung außerordentlich wichtige Figur im Leben einer Frau, die sie jedoch meist im Laufe der Zeit aus den Augen verliert. Die wenigsten Frauen behalten diese Freundin bis ins hohe Alter.
Genauso – wie im Lehrbuch eben – ist es hier auch passiert. Mit 13 waren wir unzertrennlich. Das ging soweit, dass sie zu dem Kreis Freundinnen gehörte, mit denen ich eine Toilette gemeinsam zu besuchen pflegte. Ein außerordentlich ökonomischer Brauch, da auf diese Weise jede Menge Spülwasser gespart werden konnte. Irgendwann hörten wir damit auf. Wir begannen 2-3 Tage pro Woche beieinander zu übernachten. Für gewöhnlich taten wir das bei ihr Zuhause, weil ihre Eltern unkomplizierter, freundlicher und aufgeschlossener waren als meine. Zudem hatten ihre Eltern wesentlich mehr Erfahrung mit Teenagern als meine Mutter, da meine Freundin einen größeren Bruder hatte. Dieser hatte jede Menge Vorarbeit für uns geleistet. Seine für mich größte Tat war das Etablieren des neben dran, aber leer stehenden Wohnhauses als so genannte „Disko“. In der Disko fanden selbstredend Treffen gemischtgeschlechtlicher Natur statt. Diesen Brauch übernahmen wir jubelnd: Ein kleiner Raum im ersten Stock wurde mit Kronenzeitungsblättern austapeziert und als Matratzenlager umfunktioniert. Es gab nichts außer einer kleinen Schreibtischlampe und einem winzigen Radio, auf dem wir Kassetten abspielten. Es sollte ein aufregender Sommer werden. Leider waren wir unseren männlichen Klassenkameraden um die obligatorischen zwei Entwicklungsjahre voraus, was bedeutete, dass wir (ich für meinen Fall zumindest) wesentlich mehr wollten, als uns diese verschüchterten, unerfahrenen Jünglinge, die hormonell noch nicht ganz so auf der Höhe waren, bieten konnten. Mich hat das alles sehr enttäuscht. Die Erfahrungen, die ich in der Disko zu machen gedachte, erwiesen sich als ernüchternder Flop. In der einen Nacht, als es endlich so weit sein sollte, dass mein Favorit (der für mich beste unter all dieser furchtbaren Auswahl) mich küssen sollte, erwischte uns die Mutter meiner Freundin und warf ihn, der mühsam die Rosenleiter den Balkon hochgeklettert war, schnurstracks aus dem Haus. Und seine Schuhe, die er in der Hektik vergessen hatte, hinterher. Ein zweiter Aufstieg wurde, aus Angst meinerseits, auch aus dem Elternhaus meiner Freundin, das ich so liebte, rausgeworfen zu werden, erfolgreich vereitelt. (Der Kuss wurde erst Jahre später – zu spät – nachgeholt.) Es war eine hoffnungslos naive Zeit. Ich schämte mich auch ein bisschen vor meiner Freundin, solchen Typen nachzustellen. Sie kam mir (im Gegensatz zu mir) so makellos und unnahbar vor. Für sie waren das nur Affen, mit denen sie sich nicht abgeben würde. Während ich mich schließlich auf die Suche begab und sie allmählich aus den Augen verlor, fand sie bereits am 14. August 1999 zu ihrem Glück, das sie nun geheiratet hat. Ich freue mich für sie und möchte ihr für all das danken, was sie mir gewesen ist.