Ja, ich schreibe wieder an meiner Diplomarbeit weiter. Die letzte intensive Phase hatte ich im Januar. Das ist schon eine Weile her. Gestern, als ich bis nachts um 2 Thomas Glavinic's Wie man leben soll gelesen habe, schrak ich während der Geschichte dieses ziellosen, taxifahrenden, kiffenden, gescheiterten Kunstgeschichtestudenten auf und fragte mich plötzlich: "Mädchen, was hast du seit Januar gemacht??"
Für jemand wie mich sollte es ja die allereinzige Aufgabe sein, an dieser Arbeit zu sitzen und sonst gar nichts! Tja, was habe ich gemacht? Ich danke Thomas Glavinic, dass er endlich eine Geschichte geschrieben hat, wie das Leben wirklich ist. Ich kenne tatsächlich Männer, die am Leben genauso verzweifeln wie Karl Kolostrum. Wenn die wüssten, dass ein 1:1-Buch über sie geschrieben worden wäre, wäre der Kummer vielleicht halb so schlimm.
Es gibt wohl sehr viele Menschen, die 40, 50, sogar 60 Stunden die Woche einer geregelten Arbeit nachgehen. Das sind die, die "mit festen Beinen im Leben stehen". Man fragt solche Menschen nie, was sie seit Januar gemacht haben. Man weiß es ja; an einer Kassa gestanden und kassiert; in einem Büro gesessen und, ähm ja. Was genau die tun, weiß man dann doch nicht. Aber man kennt ja die Anwesenheitspflicht. Büro, 8 - 5. Da fährt der Zug drüber. Einer solchen Anwesenheitspflicht unterliege ich nicht (bloß montags von 14.45-16.15) und daher ist es immer wieder ein Ringen mit mir selbst, dass ich mein Leben nicht wertloser finde, als das büroschierender Mitmenschen. Das ewige Sich-Rechtfertigen vor anderen ist uns massiv anerzogen; man hat fast keine Chance dagegen.
Ich selbst weiß ganz genau, was ich in diesen Monaten wirklich gemacht habe. Sie gehören zu den schönsten meines bisherigen Daseins. Ich meine damit nicht, gekellnert oder Parzival durchgearbeitet; Ich meine was viel Besseres. Aber versuch' mal, innere Erkenntnis im Lebenslauf einzufügen. So was ist schlicht unmöglich. Soll ich anführen: Das Rauchen aufgegeben! Oder: Finanziell unabhängig geworden! Oder: Mit sich und der Welt klargekommen! Oder: Wichtige Arzttermine vereinbart! Oder: Sich von seiner ehem. besten Freundin getrennt! Oder das beste überhaupt: Geliebt!
Wie absurd.
Und doch sind es diese Dinge, die ein Extrablatt verdienen würden. Ich hasse ja Vorstellungsgespräche und die in der Wirtschaft üblichen Methoden im Allgemeinen. Wenn ich jemand auf der Straße mit einer Bluse und einem Rockerl zur Arbeit gehen sehe, denke ich: Hoffentlich gibt mir jemand mal einen schönen Job in einer Buchhandlung mit angeschlossenem Esoterik-Shop. Da zöge es das Glück sicher stärker hin, als in ein klimatisiertes Büro in einem dieser Glashäuser am Stadtrand.
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