Meine kleine Schwester, die sich in der Enge unserer kleinen Heimat beklemmt fühlt, aber doch nicht den Mut aufbringt, sie zu verlassen, hat mich besucht, um ein klein wenig Großstadtluft zu schnappen. Mit dem Ergebnis: So schnell wie möglich wieder abgehauen. Aus irgendeinem Grund muss sie sich hier extrem unwohl gefühlt haben und ich bin noch nicht ganz draufgekommen, warum. Sie ist sogar eine Stunde zu früh zum Zug gelaufen, weil sie sich in der Zeit vertan hat.
Meine Hoffnung, dass sie zu mir hierher ziehen könnte, ist also auf ein Minimum reduziert, aber wie jedesmal, wenn ich enger in Kontakt mit einem Familienmitglied gerate (viel stärker als wenn ich nur Telefonkontakt pflege), zieht wie ein schiacher Filmstreifen meine verkrachte Kindheit an mir vorbei. Ich ermahne mich dann immerzu: Du bist hier, du bist erwachsen, du bist weggekommen. Gut weggekommen sogar. Alles ist gutgegangen und die Dinge, die du erlebt hast, sind dir im Nachhinein zum Vorteil gereicht. Das wirkt normalerweise auch wunderprächtig. Ich schätze mich glücklich, freue mich meines hiesigen Lebens, bewundere mich ob der Tatsache, dass ich dem Kindheitsteufel so kunstvoll von der Schippe gesprungen bin.
Weil aus mir eh was nettes, liebes geworden ist. Ehrlich.
Aber heute kam nach langer Zeit wieder ein Austicker. Meine Mutter am Telefon angeschrieen, sie schreit zurück, sie hätte besseres zu tun, als 'meinen Scheiß', legt auf.
Ich stell mir dann ja immer vor, dass sie nach dem Auflegen ihr Leben komplett entspannt weiterlebt. Bügle sie gerade und sähe Tatort, würde sie das weitertun, als wäre nichts gewesen. Säße sie im Wohnzimmer und tränke sie mit ihren Freundinnen Kaffee, würde sie das weitertun, als wäre nichts gewesen. Schlafe sie und träumte sie schöne Dinge, würde sie das ohne mit der Wimper zu zucken, fortsetzen, während ich zerstört am Schreibtisch hocke und wie paralysiert Internetseiten anklicke, um mich abzulenken. Dazwischen in die Küche gegangen und im Vorbeigehen von j² gelobt worden, dass ich meiner Mutter derart Saures gegeben habe.
Das erinnert mich an den Anlass, warum ich meine Mutter anrufen musste, um ins Telefon zu schreien. Ich war nämlich heute Vormittag beim Zahnarzt gewesen, dessen ausgesprochen zuvorkommende Assistentin mir mitteilte, dass ich keinen Versicherungsanspruch hätte und sich meine e-Card in einem nicht abrechnungsbereiten Zustand befinde. Und das seit 2 Monaten.
Ratet mal, wer dafür verantwortlich ist.
1 Kommentar:
schade, dass ihre schwester aus wien regelrecht geflohen ist. aber vielleicht finden sie einmal den passenden zeitpunkt um mit ihr darüber zu sprechen. meist klärt sich alles auf.
familie haben kann was sehr schönes sein, es kann aber auch zu einem monströsen, stressigen "anstrengungsvermeidungsslalom" mutieren. auch ich habe das eine und andere extreme streitgespräch mit meiner mutter geführt und habe lange gebraucht um ihr gewisse worte und dinge zu verzeihen. mütter sind auch nur menschen ... ;-)
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