Gestern besah ich zufällig die StudiVZ-Seite einer früheren WG-Mitbewohnerin und fand mich in einem ihrer Fotoalben wieder, ihre Zeit in Wien 2004 bis 2006. Das heißt: Unsere Wohnung, das Wohnzimmer morgens, das Wohnzimmer abends. Der Ausblick aus dem Wohnzimmer. Das Zimmerlein, das wir gerade zu vermieten haben. Alles fein säuberlich versehen mit unseren Namen & dem Bezirk, in dem wir wohnen. Alle Freunde, alle Beziehungen, alle Ereignisse, die für mich wichtig sind (oder waren), kann man auf diesen Fotos nachvollziehen. Unsere neue Wohnung, unsere alte Bleibe. Auf Partys, beim ausgiebigen Frühstück (welches man damals täglich in die Länge zog), extrem lasziv gekleidet bei einem Faschingsfest, wir alle inmitten von Alkohol & Zigarettenrauch. Sogar Bilder des Mistkübels blieben nicht unveröffentlicht.
Nach kurzem Nachdenken wurde ich nervös und begann, mich auf diversen Blogs & Wikipediaseiten über das Thema Selbstdatenschutz zu informieren. Ich stieß auf das Thema StudiVZ vs. zukünftiger Arbeitgeber, eine sehr breite Diskussion, wo ich am Ende heilfroh war, keinen StudiVZ-Eintrag zu haben. Nicht weil ich dagegen bin, sondern weil es sich für mich schlichtweg nicht mehr auszahlt. Ich suchte gut recherchierte Artikel – zu finden waren nur abertausend polemisierende Meinungen auf Blogs verschiedener Ausrichtung, einer hieß tatsächlich so in etwa: was-dir-im-netz-nicht- furchtbares-passieren-kann.
Ich saß da und dachte verzweifelt nach.
Der Selbstdatenschutz-Eintrag bei Wikipedia kritisiert sehr scharf die Naivität vieler Internetznutzer und mahnt zur Vorsicht. Als Beispiele bringt der Artikel noch einige Horror-Szenarien, die sich abspielen können, wenn man nicht auf seine absolute Anonymität achtet. Und nicht mal das nützt etwas. Am besten das Internet gar nicht benutzen! Denn so genannte „illegale Auskunfteien“ können trotz aller Schutzmaßnamen alles über dich rausfinden: Kontoverhältnisse, E-Mailkontake, Besuche auf indiskreten Seiten, sexuelle Vorlieben, politische Ausrichtung, Einkaufslisten bei Ebay, komprimittierende Bekanntschaften, usw.
Ich saß da, bekam Panik und löschte in einer Kurzschlussreaktion meinen gesamten Arbeitstagebuch-Blog, der meine komplette Arbeit für die Uni dokumentiert hatte. Er war ohnehin nicht allgemein zugänglich gewesen, aber trotzdem: Panik, Panik. Danach war dieser Blog hier an der Reihe. Ich besah erschrocken, was ich bisher veröffentlicht hatte und begann ihn zu stutzen. Ich versuchte mittels Blog-Suche rauszufinden, welche Stichworte man eingeben muss, um rasch hier zu landen. Völlig paranoid löschte ich Namen, Fotos, Zitate, sogar den Blognamen wollte ich ändern, weil mir das Wort „betrunken“ plötzlich unheimlich geworden war.
Bisher war ich mit meinem Blog selig gewesen. Ich mochte den Namen, die Fotos, die Texte. Während ich an meiner Arbeit schrieb, konnte ich in den Pausen an meinem Blog arbeiten. Ein unbezahlbarer Ausgleich. Die Arbeit für die Uni müllt meinen Kopf zu, meine eigenen Gedanken müssen wo hin. Sie brauchen Platz, sich zu entfalten, ich brauche einen Platz, wo der Überschuss hinkommt. Und ich schreibe gerne. Ich liebe Buchstaben, mein erstes Tagebuch hatte ich mit 11 Jahren. Der Vorteil hier im Vergleich zu .doc ist die Formatierung, ich kann alles mit einfachen Mitteln relativ schön herrichten, mit ein paar Klicks Fotos dazusetzen, fertig. Es sieht schön aus und diejenigen, die ich mag, können es sich ansehen.
Ich bin ein Kind des Internets und ich will nicht von ihm gefressen werden! Ein Online-Zugang bedeutet viel für mein Leben, das ist kaum wegzudenken. Ich bin damit aufgewachsen. Ich habe keine Angst davor. Aber gestern hatte ich für kurze Zeit das Gefühl, die Flut an Angstbeiträgen zum Thema Selbstdatenschutz vertriebe mich aus dem Online-Paradies. Ich bin nicht naiv und weiß, dass es unter Umständen tatsächlich gefährlich sein kann. Dazu kamen Zweifel, ob ein Blog überhaupt Sinn hat. Ich stolperte über Kommentare, die mir erklärten, es gäbe Blogger unterschiedlicher Klassen und das Ziel vieler Blogger wäre, möglichst oft verlinkt zu werden und viele Klicks zu erhalten, sodass die Themen nur auf die Quantität der Klicks & nach Blog-Such-Ergebnissen ausgerichtet wären. Damit kann man natürlich Geld verdienen, das ist durchaus logisch. Aber für mich ist sowas ja trotzdem immer wie ein Schlag ins Gesicht. Genauso entsetzt war ich, als ich unlängst herausfand, dass mir mein Email-Programm Werbung vorsetzt, die aufgrund meiner Email-Inhalte genau auf mich zugeschnitten ist.
Ich habe nachgedacht. Beim nächsten Mal, wenn wir Mitbewohner für die WG suchen, werde ich nicht mehr online nachrecherchieren, sondern jedem eine objektive Chance geben. Das Bild, das ein Blog, ein StudiVZ-Eintrag, ein Foren-Kommentar, ein Singlebörseneintrag, eine Homepage von einem Menschen transportiert, ist nichts weiter als ein Ausschnitt, ein Aspektchen - die künstlich-mediale Darstellung einer Person, die garantiert mehr Schattierungen hat, als z.B. die Gruppenzugehörigkeiten zu Ich-glühe- härter-vor-als-du-Party-machst oder Vegetarier-essen-meinem-Essen- das-Essen-weg.
Ein Blog spiegelt keine reale Person wider.
Ein Blog ist Kunst, im lebendigsten Sinne.
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