Samstag, Jänner 6

4 Mosaik


Lass ihn aus unserem Leben!“

Sie schreibt es, aber ich höre sie schreien. Sie sonnt sich im Solarium, mitten in Sölden. Es liegt kein Schnee mehr. Während ich hierher gekommen bin und versuche, meine Studienbeihilfe zu retten. Ich tue, als würde ich lernen und tippe währenddessen in regelmäßigen Abständen Nachrichten in mein Telefon. Ich schreibe, um mich nicht konzentrieren zu müssen. So wird ein Piepston zur Erlösung.

Es klingelt. Es ist der Ton einer alten Geschichte. Ich erzähle. Er erzählt. Wir lachen. Wir schweigen. Wir erinnern uns.

„Ich lege auf.“ Das Flüsterspiel.

„Warum?“

„Du weißt es.“

Ich lächle. Geflüstertes Lächeln.

Ich lege auf und versuche, weiterzulernen. Mein Kopf ist zugemüllt. Ich bin hergekommen, um ihn auszulüften.

Der Dunstabzug auf Stufe zwei spielt mein Hintergrundlied.

Ich erinnere mich. Nicht genau, es ist zu lange her.

„Ich lass ihn nicht in unser Leben.“

Wir haben getrennt voneinander viel Zeit mit ihm verbracht. Sie hat wirkliche Zeit mit ihm verbracht. Ich hatte meine Gedanken. Sie kreisten ihn ein, jahrelang. Und einen Stapel Briefe.

1996. In diesem Jahr gibt es im Juni ein Ärzte-Konzert in Salzburg. Wir sitzen auf einer Parkbank. In einem Ort, in dem es gar keinen Park gibt. Es ist ein Gemeindebankerl. Rundherum nur Wiese und Wald und Schienen. Ein Lagerhaus.

Mein Kopf, heute zugemüllt, liegt unschuldig in seinem Schoß und meine Hand liegt auf seinem Rücken. Er zupft an meinen Haaren.

Näher sind wir beide uns nie gekommen.

„Heute Nacht habe ich von dir geträumt.“

Ich sehe hoch.

Er lehnt sich vor, ich sehe sein Flüsterlächeln. Meine Hand rutscht aus seinem T-Shirt, ich setze mich auf.

Jetzt hätte ich mir, mit zugemülltem Kopf, eine Zigarette angezündet. Damals war ich gerade fünfzehn.

„Ich habe geträumt, du wärst fett geworden.“

Ich versuche, zu atmen.

„Ich habe geträumt, du wärst immer fetter und fetter geworden. Ich konnte dir dabei zusehen. Bis du zerplatzt bist.“

Das Flüsterlächeln wird laut, seine Arme breiten sich aus.

„Bamm.“

Jetzt atme ich nicht mehr. Seine Arme lehnen sich entspannt zurück.

„Du Verräter!“, schreibt sie.

Bamm.


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H.M.M. 2005

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