Freitag, Jänner 26

7 Das erste Eis im Jahr

Ein früher Sonnentag kommt in unser Leben, wir packen ihn und zerren ihn in den Park. Der Boden ist noch viel zu kalt, aber uns stört das nicht. Wir ziehen schwarze Strümpfe an und verkühlen uns die Herzen nicht mehr.

Im Winter haben wir uns die Köpfe zumüllen lassen.

Jetzt ist Frühling und wir saugen die Sonne ein, und uns selbst gleich dazu. Wir blicken mit den Sonnenstrahlen nach innen, unter die Pigmentschicht, und staunen. Die Zeit dafür muss gestohlen werden. Wir lachen endlich, atmen uns gegenseitig ein und blasen uns den Rauch ins Gesicht.

Der letzte Sommer ist halb vergessen. Bevor wir gehen, erinnern wir uns und stauben Dinge aus, die man jetzt wieder braucht. Wir schlendern über die Gehsteige, auf denen noch Rollsplittreste liegen, stellen Parkbänke gegenüber auf und lagern unsere blassen, glatten Beine hoch. Unsere Wangen sind rot. Das Lied in unseren Köpfen: Die Bienen fliegen aus, aus ihrem Bau, aus ihrem Haus. Wir summen und spielen Federball, bis die Bälle zerfleddert sind.

Ich tue nebenbei, als würde ich lernen. Das schlechte Gewissen habe ich am Eingang des Parks gegen die Gleichgültigkeit eingetauscht, aber es lugt im Stundentakt durch die Tore herein und winkt mir von der Ferne zu.

Die Gleichgültigkeit hingegen tobt gutgelaunt durch die Höfe, über die grünen Wiesen hinweg, dreht ein paar Runden um die Grillstation, umkreist das Billa-Glasgebäude, kommt zu mir zurück und rutscht die frisch rasierten Beine hinunter.

Ich blättere in der romantischen Kunstauffassung.


Das erste Eis in diesem Jahr liegt bereits hinter mir.

Ich spaziere die Naglergasse entlang. Meine Liebe, die unglückliche, geht singend neben mir her und hält meine Hand, fest und unschuldig. Unsere Finger verbünden sich, als wir den Stephansdom betreten und zwei Teelichter anzünden. Wofür ist uns noch nicht so recht klar.

Die Liebe sieht hinüber zur Marienstatue, die das Jesukind am Arm hält. Ganz klein sitzt es auf ihren verrenkten Hüften. Die Maria verlagert das Gewicht auf eine Art und Weise, die lebende Menschen nicht nachahmen könnten, weil sie sonst umfielen. Sage ich, zur Liebe.

Ich gehe zu Douglas rein und sprühe mir Jil Sander No 4, den Duft meiner Kindheit, aufs Handgelenk, während die Liebe in einer Sprache spricht, die ich nicht verstehe. Dann holen wir Eis aus der Rotenturmgasse und essen es im Gehen. Meine Haare wehen im Wind und bleiben auf den Eiskugeln kleben.

Unsere Finger verstehen sich.

Wir kaufen im Vorbeigehen den Wodka, mit dem wir uns abends betrinken werden. Die Liebe, die unglückliche, benebelt sich, weil sie mich zum Abschied nicht küssen darf.


Jetzt ist Frühling. Die Liebe ist lang fort und meine Finger, die verstandenen, blättern einsam in meinem Skriptum. Ich sitze in einem sonnenbeschienenen Park, neben mir Kunstauffassungen; aus jeder Epoche eine. Die Federbälle fliegen hoch über unseren Köpfen, die zugemüllten, und ich singe leise: Eben noch Honig geholt, eine andere Biene vernascht und dann die ganze Nacht an dich gedacht.

Wir zünden uns Zigaretten an und ich hole mir einen Zorn auf den jungen und den alten Goethe aus den wehenden Blättern. Der Wind ist noch zu kühl für Bikinioberteile und Flipflops. Wir bleiben, bis die Sonne Gutnacht' sagt und warten, was passiert.

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m, märz 2005.

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