Montag, Jänner 29
Das 5. Rad ab
Sonntag, Jänner 28
Vertreibung aus dem Paradies
Nach kurzem Nachdenken wurde ich nervös und begann, mich auf diversen Blogs & Wikipediaseiten über das Thema Selbstdatenschutz zu informieren. Ich stieß auf das Thema StudiVZ vs. zukünftiger Arbeitgeber, eine sehr breite Diskussion, wo ich am Ende heilfroh war, keinen StudiVZ-Eintrag zu haben. Nicht weil ich dagegen bin, sondern weil es sich für mich schlichtweg nicht mehr auszahlt. Ich suchte gut recherchierte Artikel – zu finden waren nur abertausend polemisierende Meinungen auf Blogs verschiedener Ausrichtung, einer hieß tatsächlich so in etwa: was-dir-im-netz-nicht- furchtbares-passieren-kann.
Ich saß da und dachte verzweifelt nach.
Der Selbstdatenschutz-Eintrag bei Wikipedia kritisiert sehr scharf die Naivität vieler Internetznutzer und mahnt zur Vorsicht. Als Beispiele bringt der Artikel noch einige Horror-Szenarien, die sich abspielen können, wenn man nicht auf seine absolute Anonymität achtet. Und nicht mal das nützt etwas. Am besten das Internet gar nicht benutzen! Denn so genannte „illegale Auskunfteien“ können trotz aller Schutzmaßnamen alles über dich rausfinden: Kontoverhältnisse, E-Mailkontake, Besuche auf indiskreten Seiten, sexuelle Vorlieben, politische Ausrichtung, Einkaufslisten bei Ebay, komprimittierende Bekanntschaften, usw.
Ich saß da, bekam Panik und löschte in einer Kurzschlussreaktion meinen gesamten Arbeitstagebuch-Blog, der meine komplette Arbeit für die Uni dokumentiert hatte. Er war ohnehin nicht allgemein zugänglich gewesen, aber trotzdem: Panik, Panik. Danach war dieser Blog hier an der Reihe. Ich besah erschrocken, was ich bisher veröffentlicht hatte und begann ihn zu stutzen. Ich versuchte mittels Blog-Suche rauszufinden, welche Stichworte man eingeben muss, um rasch hier zu landen. Völlig paranoid löschte ich Namen, Fotos, Zitate, sogar den Blognamen wollte ich ändern, weil mir das Wort „betrunken“ plötzlich unheimlich geworden war.
Bisher war ich mit meinem Blog selig gewesen. Ich mochte den Namen, die Fotos, die Texte. Während ich an meiner Arbeit schrieb, konnte ich in den Pausen an meinem Blog arbeiten. Ein unbezahlbarer Ausgleich. Die Arbeit für die Uni müllt meinen Kopf zu, meine eigenen Gedanken müssen wo hin. Sie brauchen Platz, sich zu entfalten, ich brauche einen Platz, wo der Überschuss hinkommt. Und ich schreibe gerne. Ich liebe Buchstaben, mein erstes Tagebuch hatte ich mit 11 Jahren. Der Vorteil hier im Vergleich zu .doc ist die Formatierung, ich kann alles mit einfachen Mitteln relativ schön herrichten, mit ein paar Klicks Fotos dazusetzen, fertig. Es sieht schön aus und diejenigen, die ich mag, können es sich ansehen.
Ich bin ein Kind des Internets und ich will nicht von ihm gefressen werden! Ein Online-Zugang bedeutet viel für mein Leben, das ist kaum wegzudenken. Ich bin damit aufgewachsen. Ich habe keine Angst davor. Aber gestern hatte ich für kurze Zeit das Gefühl, die Flut an Angstbeiträgen zum Thema Selbstdatenschutz vertriebe mich aus dem Online-Paradies. Ich bin nicht naiv und weiß, dass es unter Umständen tatsächlich gefährlich sein kann. Dazu kamen Zweifel, ob ein Blog überhaupt Sinn hat. Ich stolperte über Kommentare, die mir erklärten, es gäbe Blogger unterschiedlicher Klassen und das Ziel vieler Blogger wäre, möglichst oft verlinkt zu werden und viele Klicks zu erhalten, sodass die Themen nur auf die Quantität der Klicks & nach Blog-Such-Ergebnissen ausgerichtet wären. Damit kann man natürlich Geld verdienen, das ist durchaus logisch. Aber für mich ist sowas ja trotzdem immer wie ein Schlag ins Gesicht. Genauso entsetzt war ich, als ich unlängst herausfand, dass mir mein Email-Programm Werbung vorsetzt, die aufgrund meiner Email-Inhalte genau auf mich zugeschnitten ist.
Ich habe nachgedacht. Beim nächsten Mal, wenn wir Mitbewohner für die WG suchen, werde ich nicht mehr online nachrecherchieren, sondern jedem eine objektive Chance geben. Das Bild, das ein Blog, ein StudiVZ-Eintrag, ein Foren-Kommentar, ein Singlebörseneintrag, eine Homepage von einem Menschen transportiert, ist nichts weiter als ein Ausschnitt, ein Aspektchen - die künstlich-mediale Darstellung einer Person, die garantiert mehr Schattierungen hat, als z.B. die Gruppenzugehörigkeiten zu Ich-glühe- härter-vor-als-du-Party-machst oder Vegetarier-essen-meinem-Essen- das-Essen-weg.
Ein Blog spiegelt keine reale Person wider.
Ein Blog ist Kunst, im lebendigsten Sinne.
Freitag, Jänner 26
Kennst du die DC-Folge...
schein|bar (nur dem Scheine nach); er hörte scheinbar aufmerksam zu (in Wirklichkeit gar nicht), aber er hörte anscheinend (= augenscheinlich, offenbar) aufmerksam zu
Ich kann mich erinnern, es war die 5. Staffel, als Joey... oh mein Gott, das ist doch dieselbe Frau, die jetzt mit einem Baby daheim sitzt und einer Sekte beigetreten ist? - Also Joey studiert... Ach, was soll's. Jetzt bin ich darüber hinweg und wir schauen ständig Desperate Housewifes*. Genauso wie wir eine Sex-and-the-city-Phase hatten. Mit Prosecco. Jawohl! Wir sind schon so Mitläufer, so Scheiß BoBos. Ach übrigens, BoBos gibt es nicht mehr. Der neue Mensch heißt jetzt anders, ich habs gestern in Sendung ohne Namen gehört... es hat, glaub' ich, irgendwas mit neuen Medien zu tun -- weiß es wer? Ja, heute wissen wir's noch nicht, aber nächste Woche, nachdems im Falter vorkam, sind wir alle ... ähm, ja das eine... was jetzt alle sind.
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*die verzweifelten hausmütterchen sind doch nur die weiterentwickelten joeys.
7 Das erste Eis im Jahr
Im Winter haben wir uns die Köpfe zumüllen lassen.
Jetzt ist Frühling und wir saugen die Sonne ein, und uns selbst gleich dazu. Wir blicken mit den Sonnenstrahlen nach innen, unter die Pigmentschicht, und staunen. Die Zeit dafür muss gestohlen werden. Wir lachen endlich, atmen uns gegenseitig ein und blasen uns den Rauch ins Gesicht.
Der letzte Sommer ist halb vergessen. Bevor wir gehen, erinnern wir uns und stauben Dinge aus, die man jetzt wieder braucht. Wir schlendern über die Gehsteige, auf denen noch Rollsplittreste liegen, stellen Parkbänke gegenüber auf und lagern unsere blassen, glatten Beine hoch. Unsere Wangen sind rot. Das Lied in unseren Köpfen: Die Bienen fliegen aus, aus ihrem Bau, aus ihrem Haus. Wir summen und spielen Federball, bis die Bälle zerfleddert sind.
Ich tue nebenbei, als würde ich lernen. Das schlechte Gewissen habe ich am Eingang des Parks gegen die Gleichgültigkeit eingetauscht, aber es lugt im Stundentakt durch die Tore herein und winkt mir von der Ferne zu.
Die Gleichgültigkeit hingegen tobt gutgelaunt durch die Höfe, über die grünen Wiesen hinweg, dreht ein paar Runden um die Grillstation, umkreist das Billa-Glasgebäude, kommt zu mir zurück und rutscht die frisch rasierten Beine hinunter.
Ich blättere in der romantischen Kunstauffassung.
Das erste Eis in diesem Jahr liegt bereits hinter mir.
Ich spaziere die Naglergasse entlang. Meine Liebe, die unglückliche, geht singend neben mir her und hält meine Hand, fest und unschuldig. Unsere Finger verbünden sich, als wir den Stephansdom betreten und zwei Teelichter anzünden. Wofür ist uns noch nicht so recht klar.
Die Liebe sieht hinüber zur Marienstatue, die das Jesukind am Arm hält. Ganz klein sitzt es auf ihren verrenkten Hüften. Die Maria verlagert das Gewicht auf eine Art und Weise, die lebende Menschen nicht nachahmen könnten, weil sie sonst umfielen. Sage ich, zur Liebe.
Ich gehe zu Douglas rein und sprühe mir Jil Sander No 4, den Duft meiner Kindheit, aufs Handgelenk, während die Liebe in einer Sprache spricht, die ich nicht verstehe. Dann holen wir Eis aus der Rotenturmgasse und essen es im Gehen. Meine Haare wehen im Wind und bleiben auf den Eiskugeln kleben.
Unsere Finger verstehen sich.
Wir kaufen im Vorbeigehen den Wodka, mit dem wir uns abends betrinken werden. Die Liebe, die unglückliche, benebelt sich, weil sie mich zum Abschied nicht küssen darf.
Jetzt ist Frühling. Die Liebe ist lang fort und meine Finger, die verstandenen, blättern einsam in meinem Skriptum. Ich sitze in einem sonnenbeschienenen Park, neben mir Kunstauffassungen; aus jeder Epoche eine. Die Federbälle fliegen hoch über unseren Köpfen, die zugemüllten, und ich singe leise: Eben noch Honig geholt, eine andere Biene vernascht und dann die ganze Nacht an dich gedacht.
Wir zünden uns Zigaretten an und ich hole mir einen Zorn auf den jungen und den alten Goethe aus den wehenden Blättern. Der Wind ist noch zu kühl für Bikinioberteile und Flipflops. Wir bleiben, bis die Sonne Gutnacht' sagt und warten, was passiert.
_______________________m, märz 2005.
Mittwoch, Jänner 24
Eltern
* Ode aus Gründen der Unveröffentlichbarkeit gestrichen.
Dienstag, Jänner 23
6 Alte Liebe
Die Küche ist voll. Ich sitze am Fensterbrett. Das ist mein Platz. Es ist, als hätte ich mein Leben lang hier gesessen. In mir singt es: 'Das ist keine Klage, das ist eine Hommage. An die gemeinsamen Jahre, jeden einzelnen Tag.'
Am Tisch vor mir wird über die Dienstleistungsrichtlinie diskutiert. Jemand schneidet Äpfel in kleine Stückchen. Sie reden über Kapitalismus. Keiner von uns kann sich an den Kommunismus erinnern. Nur unsere Küchenkästchen sind kommunistisch aufgeteilt. Auch unsere Zigaretten teilen wir. Wir rauchen, bis alle Schachteln leer sind.
Sie wacht nicht auf. Ich warte seit einer Stunde. Sogar die langsamste Kaffeemaschine hat den Kaffee gemacht, bis sie kommt. Sie hat ihre Arbeit getan, lange Jahre. Jetzt nimmt sie sich eine Auszeit, weil sie reif geworden ist. Wie eine Avocado. Sie mag Avocados ganz weich. Ich mag sie gar nicht.
Ich sehe sehnsüchtig auf die Tür, durch die sie bald gehen wird. An der Diskussion beteilige ich mich mit einem müden Lächeln. Sie wissen, dass ich etwas weiß, aber heute sage ich ihnen nichts. Ich warte.
Sie braucht. Sie macht die Dinge sorgfältig.
„Guten Morgen, Süße.“
Sie setzt sich hin und legt all ihre Taschen ab. Streut Zigaretten, Feuerzeug und Falter zwischen Käse, Joghurt und Aufbackbrötchen. Mittwoch Morgen. Die Morgen, die wir gemeinsam verbringen, vermischen sich in meinem Kopf zu einem einzigen Morgen, der sich ewig wiederholt. Er sichert meine Widerhaken.
Sie holt die kleinen Tassen und schenkt sich Kaffee ein. Viel zu viel Milch. Wir können keinen Kaffee teilen. Das nicht, nein. Ich gewöhne mir die Milch ab. So, wie ich es mit dem Zucker gemacht habe. Bis sie weg ist. Bis sie beide weg sind. Die Milch und der Zucker.
Sie aber soll nie weggehen.
„Hey, setz dich näher zu mir.“
„Ich will nicht in der Sonne sitzen.“ Dabei schwitzt sie nie. Mir ist es immer viel zu heiß. Ich fange sofort zu schwitzen an. Wenn ich bloß um Zigaretten gehe, wird es mir schon heiß.
Sie zündet sich eine Zigarette an. Nimmt einen Schluck Kaffee.
Sie liest vor: „Im Übrigen bin ich der Meinung, der Mediamil-Komplex muss zerschlagen werden.“
Sie kommt in die Küche und es ist jemand da. Sie öffnet die Tür und stöckelt herein. Sie setzt sich und ihr Busen scheint dabei zu schweben. Sie mag es nicht, wenn ich von ihrem Busen rede. Dabei finde ich ihn sehr schön. Sie strahlt aus, was mir fehlt. Ich seh es mir an und sauge es auf.
Sie kommt in die Küche und die Küche ist komplett.
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H.M.M., 2004.
Montag, Jänner 22
halli balli
- Man ist den ganzen Nachmittag aufgeregt. Dazu trinkt man Energy-Drinks.
- Ein Ball dauert ewig & es gibt Frankfurter.
- Man schminkt sich und kämmt sich und lockt sich und kauft sich Extradinge dafür beim Bipa ohne schlechtes Gewissen.
- Ich mache mir keine Gedanken, was ich anziehe. Ich habe ja nur das eine Kleid.
- Es ist gratis.
- Die Heimatgefühle beim Hineinschreiten. Plötzlich ist einem Blasmusik sympathisch & man will selbst ein Dirndl kaufen.
- Die Begleitpersonen. Dort sind fast alle anwesend, die ich mag.
- Die Terrasse (wobei es ein Glück war, dass wir K mit dabei hatten, denn sonst hätten wir die nie entdeckt). Abgesehen davon, dass ich mich dort verkühlt habe. Aber das ist egal.
- Tanzen in einer Ö3-Disco. Ich meine, wann tut man soetwas? Man hüpft stundenlang herum und hat danach Muskelkater und die Musik ist grottenschlecht (Mc behauptet, da gab's nur Tina Turner; Mc behauptet aber auch, dass jedes Mädchen ausnahmslos Son Of A Preacher Man liebt). Sowas mag ich. Es erinnert mich an Zuhause. Man tut es so selten.
- Man raucht Zigarillos.
- Man ist betrunken und sagt dabei Dinge, die man sonst nicht sagen würde. Das ist sehr befreiend. Ich mag das.
- Beim Nachhausegehen wirft man seine Schuhe einfach weg, auf den Gehsteig - und geht in Strumpfhosen heim. (Also weniger man, mehr ich.)
- Man fährt Taxi.
- Am Tag danach liegt man den ganzen Tag im Bett, ißt Tiefkühlpizza & schaut 3 Filme.
Freitag, Jänner 19
Was willst du werden? - Nichts.
"Eine beliebte Frage, die oft Jugendlichen gestellt wird, lautet wie folgt: Was willst Du werden? Bei Lichte betrachtet grenzt diese Frage beinahe an Frechheit. Offenbar geht der Fragesteller davon aus, dass der betreffende Mensch jetzt noch nichts ist! Er muss erst noch etwas werden. Mit Wertschätzung diesem Menschen gegenüber hat das nicht sehr viel zu tun. Es hat natürlich auch nicht sehr viel mit Wertschätzung uns selbst gegenüber zu tun, wenn wir selber das Ziel haben, etwas zu werden. Die Welt ist voller Menschen, die etwas werden wollen; die offenbar jetzt noch nichts sind; oder die zumindest jetzt noch nicht genügend wertvoll sind.
[...]
Es geht darum, das zu sein, was man bereits ist. Es geht darum, sich selbst zu sein. Sich selbst sein kann man aber immer nur jetzt. Es geht nicht darum, in einem Monat oder in einem Jahr sich selbst zu sein. Es geht darum, jetzt sich selbst zu sein."[1]
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[1] Egli, René und Francois: Realität oder Illusion. Oetwil, 2005. S. 187.
Donnerstag, Jänner 18
Zitatenschatz
Zum Beispiel:
"Und Bibliotheken benutze ich nicht, weil diese auf dem unakzeptablen Prinzip bestehen, dass ausgeborgte Bücher zurückgegeben werden müssen."[1]
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Wörter des Tages:
Rea|dy|made (Kunstwiss. beliebiger, serienmäßig hergestellter Gegenstand, der vom Künstler zum Kunstwerk erhoben wird)
I|di|o|syn|kra|sie (Med. Überempfindlichkeit gegen bestimmte Stoffe u. Reize)
E|x|e|ge|se ([Bibel]erklärung; Wissenschaft von der Bibelauslegung)
hor|ri|bi|le dic|tu (schrecklich zu sagen) Beispiel: unverlangt eingesandtes Manuskript
Schandor: Wie ist es dir als Werbetexter ergangen [...]?
Haas: Furchtbar, ich war vom ersten bis zum letzen Tag deprimiert, und ich habe nie länger als ein Jahr und zwei Wochen - da kann man wieder um Arbeitslose ansuchen - in der Werbeagentur gearbeitet.[2]
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[1] Franz Schuh: "und jetzt so was." In: schreibkraft, Das Feuilletonmagazin, Heft 9, 2003. S. 22.
[2] Wolfgang Schandor: Darüber reden. In: schreibkraft, Das Feuilletonmagazin, Heft 9, 2003. S. 48.
* und NEIN! Das war kein Gekreische!!!
Mittwoch, Jänner 17
Dekadenz in Reinform
Eine erlesene, kleine, furchtbar intelligente, eingebildete, feinschmeckerische, studentische Vereinigung trifft sich in regelmäßigen Abständen (nicht zu oft und nicht zu selten), wählt zuvor erlesene Rezepte aus, für feine Speisen, die gemeinsam gebraten, blanchiert & sorbetiert werden - 4 Gänge Minimun - und hinterher wird das unglaublich kapitalistische Brettspiel Siedler zelebriert und wir fi**** uns (natürlich nur im spielerischen Sinn) tierisch rein, so wie es die Regierung (egal welche) in der Realität jeden Tag mit uns zu tun pflegt.
Für all jene, die ganz furchtbar wichtige Gründungsmitglieder werden wollen: Bitte bald melden. Dieser Kreis ist elitär. Auch Nicht-Studenten, bevorzugt mit Modellbaukenntnissen, werden aufgenommen.
PS: Vielleicht rechnet uns die Regierung richtiges, gesundes Kochen als Sozialarbeit an uns selbst an.
Wörter des Tages:
Af|fir|ma|ti|on (Bejahung, Zustimmung)
Nim|bus (besonderes Ansehen, Ruf; bild. Kunst Heiligenschein, Strahlenkranz)
Ak|zi|dens (das Zufällige, was einer Sache nicht wesenhaft zukommt)
Pa|ra|ta|xe (Nebenordnung)
am|big, am|bi|gue (mehrdeutig, doppelsinnig)
e|le|gisch (wehmütig)
Non|cha|lance (Lässigkeit, formlose Ungezwungenheit)
prä|ten|ti|ös (anspruchsvoll; anmaßend)
af|fir|ma|tiv (bejahend, zustimmend)
A|n|a|ko|luth (Sprachw. Satzbruch)
[Foto veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Modelbauers.]
Dienstag, Jänner 16
Ein Leben ohne Ziele...
Vik|tu|a|li|en Plur.
a|van|cie|ren (befördert werden)
m. E. (meines Erachtens)
Li|to|tes, die
dau
...denn das Weglassen von Zielen hat etwas mit Menschlichkeit sich selber gegenüber zu tun. Das Weglassen der Ziele nimmt den Druck weg.[1]
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[1] E.R&F.: Illusion oder Realität? S. 177 f.
Montag, Jänner 15
mindest-denk-zeit
KOMMENTAR Schnelle Studenten sind nicht automatisch gute Studenten. Denken braucht nämlich Zeit.[1]
Ich zum Beispiel:
Erarbeite einen Artikel aus dem Standard, in dem Wolf Haas und Ilse Aichinger sich unterhalten. Sie gehen im Augarten spazieren und fallen von einem Thema ins nächste und das so bezaubernd und unendlich genial, dass ich den Artikel fünfmal lesen muss und immer wieder zu Sätzen zurückkehre, wie z.B.
Aichinger: Und dann schreiben Sie es rasch hin?
Haas: Ich brauch' immer die Illusion, dass es nur vorläufig ist. Ich schreib' eine Rohversion, die aber schon richtig ein Buch ist, sozusagen. Und dann schau' ich, dass ich noch Zeit habe, es ist eigentlich fertig, aber liegt dann noch rum so ein Dreivierteljahr.
Aichinger: Was machen Sie dazwischen?
Haas: Da mach ich - nichts.
Aichinger: Sehr gut. Es gibt heute niemand, der sagt: Ich mache nichts. Es ist doch heute am wichtigsten, dass man jedem erzählt, dass man überhaupt keine Zeit hat.[2]
oder
Nicht einmal dem pubertären Vergnügen, sich Detektivgeschichten auszudenken, kann man in Ruhe nachgehen, ohne dass die Heimat sich ungefragt hineindrängt […] Manchmal werde ich sogar Zeuge, wie junge Menschen von ihrer Bildungsinstitution dazu angehalten werden, etwas über einen meiner Krimis zu schreiben. An erster Stelle steht dann immer diese Heimatfrage: Worin sehen sie das typisch Österreichische in Ihren Kriminalromanen? Um Gottes Willen! Hab ich wirklich solche Bücher geschrieben, in denen das Österreichische vorkommt? Wo mir doch nichts so am Arsch vorbeigeht wie das Österreichische. Darf ich nicht lieber Eskapist, Eklektizist, und noch irgendwas Verbotenes mit E sein? Zum Beispiel Erz-Manierist![3]usw. usf.
Ich lese stundenlang dahin und verzettle mich
und man sollte mal meine Wikiwörter des Tages dokumentieren,
wie sehr ich abschweife und über Ecken wieder zurückkehre
- allerdings oft erst nach Tagen.
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[1]Walter Kissling: Schnell, gleich, schwach. In: Falter, 10. 1. 2007.
[2]Reinhold Reiterer: „Wie schreiben Sie eigentlich?“ „Pubertär“. In: Der Standard vom 20. 7. 2001.
[3] Wolf Haas: Heimat-Tamtam. In: unique, Zeitschrift der Österreichischen Hochschülerschaft, Nr. 02/2001.
Sonntag, Jänner 14
5 Schlossberg
Sommer 1977.
Ein knapp sechzehnjähriges Mädchen mit schwarzen langen Haaren und runden Hüften, die später eine Bachblütenhexe werden soll, geht dort zur Krankenpflegeschule. Sie wohnt auf dem Berg in einem kleinen Zimmer und lässt sich von Klosterschwestern, die aussehen wie Pinguine, in Anatomie unterrichten. Für sie ist das revolutionär, weil ihre Freundinnen Friseurinnen und Verkäuferinnen geworden sind.
Für diesen Traum musste sie ihren Lebensbegleiter Pascha zuhause bei ihrer Mutter und viele Kilometer hinter sich lassen. Bis dahin hatte er sie jeden Tag zur Schule gebracht und wieder abgeholt. Es war ein kleiner brauner Dackel, der im siebzehnten Jahr an Lähmung starb.
Von den fünfhundertdreißig Schillingen, die sie jeden Monat kriegt, kauft sie sich in der Stadt Strümpfe und Haarshampoo. An den Wochenenden kommt sie zurück zu Pascha, lässt ihren Koffer im Vorraum fallen und schert sich bis Sonntag Abend nicht mehr darum. Sie sitzt das ganze Wochenende auf der Wohnzimmercouch, sieht alte Liebesfilme und weint dazu. Der Dackel sitzt hingebungsvoll neben ihr. Ihre Mutter bügelt einstweilen ihre Wäsche und schüttelt von Zeit zu Zeit den Kopf.
178 Kilometer weiter lebt jemand, der sie noch in diesem Sommer von den alten Liebesfilmen befreien soll. Er wohnt in einem winzigen Zweihundertseelendorf. An Samstag Nachmittagen liegt er so lange in der Badewanne und singt zum Fenster raus, bis seine Mutter laut an die Badezimmertür zu klopfen beginnt. Das Badezimmer besitzt noch keine Fliesen und in der Mitte steht ein großer Kesselofen, den man einheizen muss, bevor man heißes Wasser braucht. Wenn er abends ausgeht, steckt sie ihm Geld zu. Er trägt gelbe Hemden und ein weißes Sakko mit goldenen Knöpfen. Mit dreizehn Jahren musste er autofahren lernen, um seinen betrunkenen Vater vom Wirtshaus heimfahren zu können.
Während er seinen Vater die Treppen hinaufhievte, trainierte das Mädchen mit den schwarzen Haaren Judo und erkämpfte sich den schwarzen Gürtel. Das schob sie zwischen die Liebesfilme und die pinguine Anatomie. Auch das war revolutionär.
Sein Vater zieht ins Waldviertel und niemand muss mehr vom Wirtshaus heimgefahren werden. Irgendwann wird er neunzehn und eingezogen. Wochentags sitzt er zigarettenrauchend in einem grasgrünen Panzer und an den Wochenenden in einem Lokal namens Katzenkeller neben der Musikbox und trinkt Ribiselwein. Irgendwann hängt ein Plakat an den Wänden des Kellers: Judowettkampf.
Am Abend nach dem Kampf sitzt das Mädchen mit den schwarzen langen Haaren im Katzenkeller und trinkt Ribiselwein. Am Nebentisch sitzt einer mit goldenen Knöpfen und hat bereits vierzehn Achtel Ribiselwein getrunken, als er sie zum Tanzen holt.
Nach seinem siebzehnten Achtel küssen sie sich.
Sie geht schlafen und er sagt: „Wir treffen uns morgen Mittag bei der großen Kreuzung.“
Es ist die Woche vor ihrem sechzehnten Geburtstag. An diesem Sonntag zu Mittag zieht sie ihren schönsten Rock an und sucht nach einer großen Kreuzung. Sie geht die staubige Straße entlang und sucht nach einer großen Kreuzung, mit Ampel.
In diesem Zweihundertseelendorf gibt es keine Ampel und auch keine Verkehrsschilder. Sie geht die Straße entlang. Einen braunen Hügel hinunter, einen grünen hinauf. Auf der Suche nach einer großen Kreuzung, die ihren revolutionären Begriffen entspricht. Einer Ampel. Dann setzt sie sich auf eine Bank und wartet.
Er sucht sie, bis er sie auf der Bank sitzen sieht. Er setzt sich neben sie und lacht. Weil sie eine Ampel gesucht hat.
Das war im Sommer 1977. In diesem Jahr starteten die Raumsonden Voyager I und II, in Frankreich wurde die letzte Hinrichtung mit der Guillotine durchgeführt und die RAF tötete Hanns Martin Schleyer.
Die beiden auf der Bank sind meine Eltern geworden. Im Jahr 1981 wurde ich als dreihundertachtundneunzigstes Baby in dem Krankenhaus auf dem Schlossberg geboren.
Sie trafen sich durch einen schönen Zufall. Sie lernten sich lieben und hassen. Im ersten Jahr schrieben sie sich 413 Briefe. Das erste Lied, zu dem sie tanzten, war Marmor, Stein und Eisen bricht.
1992 ließen sie sich scheiden.
Das macht aber gar nichts. Der Schönheit dieses einen Augenblickes habe ich es zu verdanken, dass ich hier sitzen und meine Sorgen über die Französische Revolution und Picassos Auswirkungen auf die Literaturgeschichte groß finden kann.
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H.M.M. 2005
Samstag, Jänner 6
4 Mosaik
Lass ihn aus unserem Leben!“
Sie schreibt es, aber ich höre sie schreien. Sie sonnt sich im Solarium, mitten in Sölden. Es liegt kein Schnee mehr. Während ich hierher gekommen bin und versuche, meine Studienbeihilfe zu retten. Ich tue, als würde ich lernen und tippe währenddessen in regelmäßigen Abständen Nachrichten in mein Telefon. Ich schreibe, um mich nicht konzentrieren zu müssen. So wird ein Piepston zur Erlösung.
Es klingelt. Es ist der Ton einer alten Geschichte. Ich erzähle. Er erzählt. Wir lachen. Wir schweigen. Wir erinnern uns.
„Ich lege auf.“ Das Flüsterspiel.
„Warum?“
„Du weißt es.“
Ich lächle. Geflüstertes Lächeln.
Ich lege auf und versuche, weiterzulernen. Mein Kopf ist zugemüllt. Ich bin hergekommen, um ihn auszulüften.
Der Dunstabzug auf Stufe zwei spielt mein Hintergrundlied.
Ich erinnere mich. Nicht genau, es ist zu lange her.
„Ich lass ihn nicht in unser Leben.“
Wir haben getrennt voneinander viel Zeit mit ihm verbracht. Sie hat wirkliche Zeit mit ihm verbracht. Ich hatte meine Gedanken. Sie kreisten ihn ein, jahrelang. Und einen Stapel Briefe.
1996. In diesem Jahr gibt es im Juni ein Ärzte-Konzert in Salzburg. Wir sitzen auf einer Parkbank. In einem Ort, in dem es gar keinen Park gibt. Es ist ein Gemeindebankerl. Rundherum nur Wiese und Wald und Schienen. Ein Lagerhaus.
Mein Kopf, heute zugemüllt, liegt unschuldig in seinem Schoß und meine Hand liegt auf seinem Rücken. Er zupft an meinen Haaren.
Näher sind wir beide uns nie gekommen.
„Heute Nacht habe ich von dir geträumt.“
Ich sehe hoch.
Er lehnt sich vor, ich sehe sein Flüsterlächeln. Meine Hand rutscht aus seinem T-Shirt, ich setze mich auf.
Jetzt hätte ich mir, mit zugemülltem Kopf, eine Zigarette angezündet. Damals war ich gerade fünfzehn.
„Ich habe geträumt, du wärst fett geworden.“
Ich versuche, zu atmen.
„Ich habe geträumt, du wärst immer fetter und fetter geworden. Ich konnte dir dabei zusehen. Bis du zerplatzt bist.“
Das Flüsterlächeln wird laut, seine Arme breiten sich aus.
„Bamm.“
Jetzt atme ich nicht mehr. Seine Arme lehnen sich entspannt zurück.
„Du Verräter!“, schreibt sie.
Bamm.
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H.M.M. 2005
3 Revolutionsgedicht
Einer
Für jede Jahreszeit einer,
für jeden Wochentag einer
- und drei Tage frei.
Einer für die heilige Liebe, die unglückliche,
einer für die freie, die heimliche,
einer für die alte, die langsam rostet,
und einer für die unerwiderte.
Einer für Briefe in roten Umschlägen,
einer für die Melodien im Kopf.
Einer für lange Tagträume,
einer fürs Frühstück.
Einer zum Kaffee, der bringt dir Kuchen.
Einer zum Reden, für die Politik.
Einer für flüchtige Küsse, zufällige, auf dem Gehsteig.
Einer, der fragt und einer, der alle Antworten kennt.
Einer für die Zigarette,
kurz vorm Schlafengehen.
Einer, der deinen Namen weiß
und einer, der ihn ruft.
Einer aus der Vergangenheit,
und einer für die Zukunft.
Einer, bei dem alles vorbei ist
und einer, bei dem alles erst kommt.
Einer sicher,
und einer, der schwebt.
Einer, der die Nacht durchtanzt
und dich umschlingt.
Einer, der dich um Rat fragt,
und dabei an deinen Lippen hängt.
Einer, der dich schön findet
und einer findet dich klug.
Für jede Jahreszeit einer,
für jeden Wochentag einer,
- und drei Tage frei.
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m, 2005
Mittwoch, Jänner 3
heimkehr
weihnachten ist vorbei, silvester ist vorbei, familienessen sind vorbei.
familie ist vorbei. essen ist vorbei.
ich sags ehrlich, ich kann nicht mehr.
ich will zu meiner arbeit und ich will niemand mehr sehen.
ich will nur ruhe und kaffee.
die vollkommenene übersättigung ist eingetreten.
ich sehne mich sehr oft nach ritualen, regelmäßigkeiten & alltag.
aber jetzt ist die sehnsucht unermesslich.
an weihnachten spült es bekanntlich den meisten menschen ihre kindheit hoch. dass davon wirklich fast alle menschen betroffen sind, konnte ich dieses jahr wieder sehr deutlich erkennen.
ich dachte als kind nie, dass ich das je sagen würde, aber:
danke, gott, dass weihnachten nur einmal im jahr vorkommt.
ich komme bald nach hause, und wie jedesmal wird am westbahnhof eine stimme in meinem kopf sagen:
herzlich willkommen zuhause.