Freitag, August 17

Sturm & Drang

...wird mein Spezialgebiet. Entschieden und aus. Kein langes Zetern, das war das erste, was mir in den Sinn kam und eine gute Literaturgeschichte davon habe ich auch daheim, sowie die meisten Dramen. Das Thema ist ganz fein und interessiert mich mehr als z.B. die Romantik mit ihren fetten Schinken, die mir eher Angst einjagen, obwohl ich weiß, dass sie eigentlich auch schön sind, aber einfach zu lang für mein Unterfangen. Dazu fehlt mir dann doch der nötige Biss.

Jetzt muss mich nur noch dazu zwingen, jeden Tag acht Stunden zu lesen/zusammenzufassen/zu lernen. Das will geübt sein. Ein Germanist muss vor der Abschlussprüfung nie eine solche Menge an Stoff verarbeiten, sondern verdient sich seine Scheinchen stets mit kleineren Happen. Ich versuche, mich langsam daran zu gewöhnen. Vorgestern einen Plan angefertigt, gestern Bücher ausgeliehen und mit dem Götz begonnen. Der Schwabe Götz war ein guter Einstieg. Nachts Gantenbein.

Danach kommen die Räuber und der Werther; alles sehr feine Dinge, keine Frage. Aber der Stapel an insgesamt zu lernender Literatur ist ehreschwöre einen kompletten Meter hoch, wenn nicht sogar höher. Es ist schwer, die komplette Literatur sofort aufzutreiben. Ich werd das abmessen, das glaubt mir niemand.

Ich mache das alles für 3 winzig kleine Buchstaben, die ich mir dann in den Pass eingravieren lassen darf: MAG. Wo man heutzutage nirgends mehr Pässe braucht, außer nach Budapest. (Gestern Nacht passenderweise Bockerer III zum Ungarnaufstand gesehen. Fand ich nicht so gut, wie die ersten beiden, aber das war zu erwarten. Alles sehr simplifizierend dargestellt und dass der Karli am Ende stirbt wirkt unglaubwürdig. Ein 18jähriges, erlebnishungriges Wiener Fleischhauerskind, das in den Aufstand gerät und am Ende tot ist, wirkt seltsam. Mir hätte gefallen, wenn er mit der Ungarin und Baby siegreich, aber geläutert nach Hause zurückgekehrt wäre. Dass das Binerl sang und klanglos stirbt, fand ich hingegen sehr tricky, das gibt der Sache eine realistische Tragik.)

Sobald ich das geschafft habe, lass ich mir ein Goldschild mit Gravur machen. Mag. Waldbrand: ein Kind aus einer Nichtmaturantenfamilie, ein Kind ohne Stickeralbum, Martens oder Levi's. Ein Kind, das bis 19 nur Nöstlinger und Böll* gelesen hatte und mit diesem Kleinwissen auszog, um Germanistin zu werden. Manchmal finde ich mein Leben selbst absurd.
Bis dahin brauche ich einen Mittelhochdeutschnachhilfelehrer, der mich nicht auslacht, weil ich den Quatsch immer noch nicht kann. Und das allein zu lernen ist so mühsam. Ich hätte gerne jemanden, der mir das noch mal genau erklärt.

Der Kerl ist indes für ein paar Tage heimwärts gefahren. Ich bin diesmal hier geblieben. Noch zweimal je 12 Stunden im Halbschlaf auf einem 2er-Sitz im offenen Abteil zw. Wien und Bregenz hin und herfahren, immer ein schlechtes Gewissen, weil man jemandem den Sitzplatz wegliegen könnte, obwohl man sich ohnehin würdelos zusammenrollt wie ein Igelbaby, mit Ohropax und Kuscheldecke gegen die schrille Deckenbeleuchtung bewaffnet; das hätte ich nicht ausgehalten. Die Zugfahrerei reicht mir jetzt wieder für eine Weile, bis Weihnachten will ich keinen mehr von innen sehen.

Der Nachteil an meinem Dableiben ist natürlich, dass ich hier jetzt menschenseelenallein auf mich selbst zurückgeworfen drei Tage festsitze. Aber es scheint zumindest wieder die Sonne. Das sind immer so Tage, wo es mir das leidige Einsamkeitsproblem hochspült und ich mir ein paar gute Freundinnen wünsche, mit denen man sich z.B. am Naschmarkt im Do-An träfe, um die Woche durchzudiskutieren. Das sind so 6&thecity-Phantasien, die mir das Hirn vernebeln, weil ich immer denke, jede Frau außer mir hätte solche Freundinnen.

Anderseits war ich jetzt 3 volle Wochen nonstop mit Menschen zusammen. Ein bisschen Funkstille, nur ich & Götzle wird mir ganz gut tun. Hoffentlich. Notfallplan: Schwimmen in der Stadthalle. Meine neue Ausrüstung enthält 1 blaue Schwimmbrille, 1 Unterwassermusikapparat und 10 Freikarten. Einer solchen Aktivität stünde also nichts mehr im Wege. Man sieht, ich kokettiere bereits mit der Einsamkeit. Der zweite Plan lautet: Allein im Kino. Des Kerls Vater macht das regelmäßig und irgendwie reizt mich das. Ich ginge dann natürlich in Ensemble c’est tout.



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*beide von den Professoren hierzulande schlichtweg ignoriert, als hätten sie nie auch nur eine Zeile verfasst.

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