Sonntag, August 19

Samstag ist Selbstmord oder Ensemble c'est tout

Nachdem das kleine Mädchen und ihr Fortsatz lieber zu dem neuen Kiffermann zu gehen beliebten, wo ich wegen der angeblichen Sauratzwohnung ohnehin nicht mitgehen hätte wollen, beeilte ich mich gegen 21.15 Uhr doch noch in Richtung Kino aus dem Haus zu kommen. Allein ins Kino. Mein neustes Projekt, mit der Einsamkeit zu kokettieren.

Weil ich ab meinem 5. Lebensjahr im Zweijahrestakt Geschwister dazu bekommen hatte, mit 19 Jahren ausgerechnet in ein überfülltes, menschelndes Studentenheim geflüchtet war, um hinterher in eine Fünferwohngemeinschaft zu ziehen, hatte ich Zeit meines Lebens kaum Gelegenheit, dem Alleinsein auf die Schliche zu kommen. Von fern bewunderte ich jedoch stets Bekannte, die allein auf 40qm wohnten, ohne nach kurzer Zeit an Einsamkeit zu sterben.

Nach eingehenden Befragungen kam ich zu dem Schluss, dass sie schlichtweg kein Problem damit zu haben schienen, was mich immer vermuten ließ, dass dem Alleinsein ein süßes Geheimnis anhafte, das nicht mit Einsamkeit zu verwechseln war. Bestätigt sah ich die Sache, als der Kerl gestern Morgen beinah eifersüchtig reagierte, als ich ihm stolz von meinem Vorhaben erzählte - und das, obwohl er solang mit unzähligen, alten Freunden auf einem Volksfest tanzen würde.

Nun, meine größte Angst war denn, dass ich jemanden im Kinofoyer treffen könnte, den ich kenne. Nichts erschien mir peinlicher, als irgendjemand flüchtig Bekanntem erklären zu müssen, was zur Hölle ich an einem Sommersamstagabend in der Blüte meines Lebens mutterseelenallein in einem Kinosaal zu suchen hatte, ausgerechnet in einer Sommerliebeskomödie, die davon handelte, dass Zusammen- dem Alleinsein allemal vorzuziehen sei.

Mein eifrig vorreservierter Sitz war auch prompt zwischen zwei jungverliebten Paaren platziert, was mir während der Werbung etwas unangenehm war; bis das Licht ausging. Ich drehte mich um und sah, dass ich gottlob nicht die einzige Einzelperson war. Schräg hinter mir saß ein Kerl mittleren Alters mit Lederjacke, spärlichem Haar, aber sympathischem Gesicht. Erstaunlicherweise kam ganz zuletzt eine junge Frau mit hübschem Bubihaarschnitt herein und setzte sich auch ganz offensichtlich allein zwischen zwei ihr unbekannte Pärchen. Sie war nicht hässlich, der Lederkerl auch nicht. Warum gingen diese Leute allein in einen Liebesfilm?

Ich gebe zu, dass mich die Aktion etwas Herzklopfen und Unwohlsein gekostet hat. Aber der Film war wundervoll, wenngleich das Ende etwas holprig kam, er hatte lange Zeit sehr gute Strecken. Auch wenn jemandem wie mir das Herz blutet bei der Haarschneideszene. Tautou’s Ohren hingegen machen diese schmerzhafte Rebellaktion wieder wett, finde ich. Selten etwas Sympathischeres von dieser Unförmigkeit gesehen. Die Szene ist auch notwendig, um die Veränderung anzudeuten, die sich bald einstellen wird. Die Dame lebt [laut wiki] auch privat allein in einem Appartement, direkt im Viertel Pigalle, wo auch das Moulin Rouge seinen Sitz hat. Thematisch dreht sich der Film um dasselbe wie Amelie. Nur etwas mehr von dieser Welt.

Die Leute in diesem Film arbeiten als Museumskartenverkäufer, Putzfrauen und Köche. Der erste, weil er an Angst und Stottern leidet; warum die Hauptdarstellerin als Putzfrau arbeiten und in einem Dachzimmer ohne Heizung wohnen muss, weiß man nicht. Letzterer hat noch den ordentlichsten Beruf, was ihm aber auch nichts als Jammer einbringt, weil er unter den menschenunwürdigen Arbeitszeiten leidet. Es geht darum, wie man Ängste überwindet, und seine Träume verwirklicht. Es geht um Versagensängste und Wege, wie man damit klar kommt. Sicher ist die Lösung am Ende, große Liebe, eigenes Lokal, in dem alle Figuren irgendwie beschäftigt sind, völlig utopisch. Dieser Film verwirklicht seinen Traum vom glücklichen Leben.

Ein solcher Film braucht aber so ein Ende, finde ich.Ich bin da ja furchtbar kitschig und kann solch pathetischen Filmen einiges abgewinnen. Was gibt es Schöneres als hinterher raus zu kommen in eine laue Sommernacht, 10 Minuten die Straße entlangt, Mey-Wader-Wecker im Ohr, die Treppe raufsteigen und hoffen, dass einem das eigene Leben in der Wohnung drin nicht gleich den ganzen Pathos zerquetscht.

Hat leider auch nicht so ganz funktioniert. Einen traurig-verzweifelten j² vorgefunden, den man nur spärlich mit 3 Ribiselschnäpsen zu trösten vermochte.

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