Donnerstag, September 25

Kerl und ich heute bei einem der tausend Schuhkönige auf einer bekannten, hochfrequentierten Einkaufsstraße Wiens. Im siebten Schuhgeschäft, Kerl noch tapfer. Ich treffe auf meine Traumschuhe. Preis 100 Euro. Kerl lacht mich aus, weil es sich bei diesen Schuhen um Schuhe handelt, die sehr junge Menschen dieses Landes ausgesprochen gerne tragen. Ich finde sie toll. Braunes Leder, innen karierte Baumwolle, links und rechts zwei kleine genietete Löcher (wozu dieses designtechnische, regeninkompatible Detail nötig ist, weiß der Himmel), Kerl sitzt auf einem kleinen roten Lederquadrat mit Lehne und wartet geduldig, bis ich mit diesen Schuhen (das Binden von den Teilen muss ich erst lernen) im kompletten Geschäft dreimal auf und ab renne. Die Verkäuferin kommt und gibt mir zu verstehen, dass weiter hinten jemand genau dieses letzte Schuhpaar in genau meiner Größe probieren möchte, aber wer zuerst kommt,...
100 Euro. Kerl sieht das Glitzern in meinen Augen, ich sehe Kerls Skepsis. Er findet 120-Euro Bergschuhe, die 10 Jahre halten werden, sinnvoller. Denk an die Kinder und an die nassen Wiesen, wo du bald arbeiten wirst! In die Nieten regnet es rein! - Aber ich kann dicke, selbstgestrickte Socken anziehen! Superwarm wird das. Schau mal das Karomuster! Und echtes Leder!
Kerl und ich sitzen auf den roten Quadraten, nebeneinander, ich in den Schuhe, halte die Beine hoch und versuche den Kerl durch Liebesbekundungen zu ihm und den Schuhen dazu zu bewegen, diesen Irrsinnskauf zu goutieren.
Wir sitzen und spüren, das kann nicht gut enden. Entweder ich kaufe die Schuhe und habe ein schlechtes Gewissen, weil Kerl sie zwar gut, aber maßlos teuer findet. Oder aber ich lasse sie mir ausreden und bin zwei Wochen (den kompletten Winter) jedesmal angefressen, wenn ich meine anderen neuen Schuhe (die erst zu finden sein werden), die ich niemals genauso lieben könnte wie jene, ansehe und denke: Mein Gott, wie cool wäre das gewesen!
Ich ziehe die Teile aus, packe sie enttäuscht zurück in den Riesenkarton und habe fast abgeschlossen mit der Idee, diesen Winter wirklich coole Schuhe rumzutragen, da kommt der Engel von Verkäuferin aus dem roten Schuhgeschäft weit unten auf jener Straße, zeigt auf das braunlederne Traumpaar an meinen Füßen und sagt: "Diese Schuhe sind übrigens reduziert auf 49.95. Nur, dass Sies wissen."

Sonntag, September 21

Ja, es stimmt. Früher, bevor ich begriff, was Leben tatsächlich bedeutet, waren 2 von 5 Tage meines Lebens so wie dieses Wochenende. Da gab es Zeiten, in denen ich kaum aus dem Bett kam, in denen Aktivitäten außerhalb des Hauses unmöglich waren, es sei denn, ich hatte mich tagelang, nachts schlaflos, darauf eingestellt. Da gab es Zeiten, da waren kleine Notfall-Wodkafläschen in unseren Handtaschen obligatorisch, für den Fall. Es gab Wochen, in denen ich keinen Sonnenstrahl zu Gesicht bekam und einzig nachts auf Küchenbänken um verfehlte Aufmerksamkeit buhlte. Heutzutage ein einziges solcher Wochenenden zu erleben, wo ganztags Serienschauen im Bett im Jammerzustand die einzige Überlebensmöglichkeit darstellt, ist eine Rarität. Ich weiß das.
Nichtsdestotrotz für mich kaum mehr auszuhalten, ehrlich.
Ich will Licht, Liebe, Frohsinn.

Mittwoch, September 17

Chuzpe an meinen pechschwarzen Vater

hallo papsimapsi,
ich hätte da eine frage. ich würde gerne den grünen beitreten, extra vor der wahl noch, und ich dachte, wenn ich mein nachträgliches geburstagsgeschenk von dir bekäme, könnte ich dieses geld sinnvoll investieren, um ganz offen ein zeichen zu setzen, dass man etwas tun muss!

das wäre schön und würde mich sehr freuen,
lg m

Anfängerfehler, klassisch

Ich bin ja süß. Gestern spontan eine Bewerbung abgeschickt, wegen der Eile alles per Email, macht man ja heutzutage, kann man tun, wie ich finde, in dieser Welt, heute.
Sollte man jedoch nicht, wie ich feststelle. Das habe ich ja alles schon x-mal hervorgehoben, wie toll meine Bewerbungsschreibdienste bei anderen Menschen funktionieren, wie alle, denen ich je buchstabiert habe, wie gut sie für diese oder jene Stelle geeignet sind, auch prompt genommen wurden, jetzt Urlaubsgeld verdienen, sich ihre Wohnungen neu einrichten, einen VW-Campingbus kaufen oder Sprachkurse besuchen können. All das. Als Lohn habe ich sogar einmal sieben Euro für eine Pizza bekommen, immerhin. Ein Danke reicht mir da, wirklich.
Ich bin ein Profi, ich weiß das. Ich tippe schnell, ich liebe Buchstaben, Layout und das Gesamtergebnis einer schlüssigen Argumentation, auch Motivationsschreiben genannt. Und es wäre schade um so viele Menschen, die Buchstaben nicht so gut im Griff haben, wenn sie deshalb keine Chance in ihrem spezifischen Branchengebiet bekommen würde. Es ist einfach schön zu sehen, wie eine gute Arbeit die Menschen glücklich macht.
Aber bei mir ist das alles ganz anders.
Gestern tatsächlich eine entzückende, logische, wundervoll ausgetüfftelte Bewerbung geschrieben, einen Lebenslauf und ein lieblich rothaariges Foto angehängt, abgeschickt; so zufrieden gewesen, dass sich hinterher in all der Euphorie auch noch eine Wandschrank-Sommergewandaussortier-Aufräum-, eine Schreibtischblockierzettelwegwerfaktion und ein Spinatcreme-Cannelloni-Auflauf ausgegangen ist. Das war gut, soweit.
Bis ich bemerkte, dass sich in der Datei ganz unten, auf einer extra Seite, unter dem schön einfachklar designten Lebenslauf eine alte Bewerbung, die sich auf eine komplett andere Berufssparte bezieht, befindet, in der ich ebenso schlüssig und engagiert beschreibe, wie gut ich gerade dafür und für nichts anderes geeignet bin.
Wenn diese Personalchefin schlau ist, erkennt sie darin Genie in Form von Vielfältigkeit.
Oder aber sie denkt, ich bin völlig übergeschnappt.

*okay, das mit dem VW-Bus ist, was ich tun würde.

Montag, September 15

Letzte Woche unvermutet eine spontane, 5tägige Heimreise angetreten, selten so lange und ausgibig dort gewesen, mit alter Kinderliebe am Tisch gesessen, erste Liebe gleich direkt gegenüber, weil wenns kommt, dann gleich dicke. Aufgesprungen, umgesetzt, alles peinlich und drei Tage Herzklopfen, aber nicht nur deshalb. Eine große Familie gibt auch große Familienprobleme und 3 Schwestern geben ihr Fett ab, das soll man nicht leugnen. Wenn tatsächlich Not am Mann ist, wie diesmal, kommen sie alle und halten zusammen, und das zeigt wieder einmal, dass es gut ist. Und aus.
Ich bin nur der Zuseher und meine (deshalb verschobene) Arbeitssuche stellt sich als kleinstes aller Probleme heraus, das sich neben Kollaps, Magen-Darmspiegelung, einem höchst misslungenen Wahrsagerinnenbesuch, kurzfristigen Hochzeitsterminen, einem allerersten Schultag und einer gefährlichen Donaubrücke überaus vernachlässigenswert ausmacht. Wird noch dauern, das.
Ich sitze solang und schaue zu, was passiert. Dazu Regen und Ochsenzungentee mit Safrankandis am Stäbchen.

Dienstag, September 9

Wendelin Schmidt-Dengler (* 20. Mai 1942 in Zagreb, † 7. September 2008 in Wien)

Ich hatte die Ehre, einmal eine mündliche Prüfung, zu der ich mich in qualvoller Selbstkasteiung genötigt hatte, um mich danach endlich als echte Studentin fühlen zu können, bei ihm abzulegen und zugesehen zu haben, wie er während einem meiner miserabelsten Referate zu Schillers Maria Stuart ungerührt eingenickt war.

Mein Germanistenherz trauert um jeden seiner Buchstaben, der nicht mehr geschrieben werden kann.

Samstag, September 6

Wir sind zurück. Ab nächste Woche bin ich offiziell wieder arbeitslos, ich schätze, da findet sich etwas Zeit, etwas über einen kompletten Monat Urlaub zu erzählen, oder darüber, dass es mir diesmal gar keine Angst macht, und warum.