Samstag, Mai 31

Jelenec - Tag 1

oder: Abenteuerurlaub im Nichts - Leitfaden für des Stadtlebens Überdrüssige

Anreise: Morgens um 7.39 Uhr aufgewacht, verschlafen, zum Deutschkurs gehetzt, 3 Stunden Unterricht geduldig und aufgeregt runtergerissen, hochmotivierte Schüler die mit hochmotivierten Fortgeschrittenenfragen den Anfängerunterricht aus den Angeln heben, während sie den Unterschied zw. bestimmtem und unbestimmtem Artikel noch nicht 100%ig...

[die ehrliche wahrheit, setz dich:]
ich war im Urlaub, ich sag es grad heraus und habe an zwei wunderschönen Nachmittagen in der Sonne halbnackt auf einer Bierbank sitzend, nachdem ich den Schock überwunden hatte, zum ersten mal in meinem Leben eine Schlange gesehen zu haben, die die Größe einer Blindschleiche (welche ich bis dahin für ernstzunehmende Schlangen gehalten habe) ums sechzehnfache übersteigt, einen 7 Seiten langen Reisebericht, in acht verschiedenen Stabilofarben, ganz eng auf Karopapier (obwohl ich Karo überhaupt nicht ausstehen kann, weil 1 Kastl zu klein und 2 volksschulartig groß sind) geschrieben habe, der verdeutlichen soll, dass Kerl und ich an Städtekoller leiden und aufs Land ziehen müssen! Und was für eine heilende Wirkung ein kleines slowakisches Dorf jenseits aller Restaurants, Pizzerien, Supermärkte, diesseits von Grillstellen, Vogelgesang und Schlangen auf Seelen wie unsere haben kann.
Und was ist daraus geworden?
Alltag, Arbeit, ein Berg Nähwäsche, ein ausgemistetes Zimmer, ein Fengshui-Buch, ein halbabgebrochener Französischkurs und übrig allein der unabgetippte, feinsäuberlich verfasste Text, der zeigt, wie eine grüne Wiese mit Bäumen rundherum uns Stadtmenschen in den Arsch tritt, uns zwingt, mal einfach nicht zu duschen (weil die Receptia einfach mal zwei Tage stressfrei geschlossen war, ohne dass irgendwie die Welt unterging), einfach mal in Alufolie gepackte Fleischstückchen ins Feuer zu werfen, weil es einfach mal keine Möglichkeit gibt, essen zu gehen, sondern ein 35minütiger Fußmarsch vonnöten ist, ein kleines Lebensmittelgeschäft mit seinen 3 für unsere Verhältnisse halbvollen Regalen zu erreichen.
Das alles so simple, wie schön.
Die Posturlaubsdepression von Kerl und mir, verschweige ich hier mal, einfach so.

Dienstag, Mai 20

Schwäbische Tanten im Anmarsch! Ich weiß, ich übernehme alle Verantwortung. Ich habe sie schließlich eingeladen. Zwei Stück, inklusive Männer. Eine der beiden fliegt zum ersten Mal in ihrem Leben. Und das bei Regen. Auweia. Als ich sie eingeladen habe, hatte ich allerdings schon einiges an schwäbischem Schnapsgut intus. An launigen Familienfeiern passiert ja allerhand unvorhergesehenes, vor allem an schwäbischen. Ein Gebiet, in dem man mittags nach "fettem" Essen das erste Schnapserl nimmt und zu Weihnachten gruppenweise durch den Ort läuft, um Christbaumschmuck zu loben, woraufhin man ebenfalls - traditionsgemäß und zu jeder Tages- und Nachtzeit - Schnäpse kredenzt bekommt. Als schwäbische Hausfrau ist man um diese Zeit obligatorisch besoffen, denn der Brauch verlangt es, mitzutrinken, komme was wolle, wenn jemand klingelt und sagt: "En scheena Chrischtbaum habts ia!" Da gibts kein Zurück. Das überfordert sogar mich, die ich mich als leidenschaftliche Schnapstrinkerin bezeichne, vor allem liebe ich Williams und Honigschnaps. Zumindest bis zu jenem Tag, als ich meine Sponsion gefeiert habe und aus Gründen der Maßlosigkeit beinahe bei der offiziellen Zeremonie gefehlt hätte. Seit daher bin ich vorsichtiger und halte mich still am Rotweinglas fest, wenn jemand schreit: A Schnapserl wär jetzt der Hit.
Nicht für mich, danke.
Diese Woche wird das allerdings schwierig. Der 27. Geburtstag und 5 Schwaben im Haus. Da hilft nur viel Wasser, dazwischen wenigstens und die Tanten zum Heurigen schleppen, da gibts nur Wein, den vertrag ich besser und kann versuchen, mit ihnen mitzuhalten. Mithilfe von dickgeschmierten Schmalzbroten, vielleicht.

Freitag, Mai 16

Immer von einem eigenen Laptop geträumt, den man - inmitten von weißer Bettwäsche - volltippen kann, hierdrin ein paar Sätze für die Ewigkeit formlieren, wie etwa im Juli, der Juli war echt gut, da habe ich auch den ganzen Tag über Goethe und Herder und dem Häschen gebrütet, da sprullern die ausgereiften Sätze automatisch aus einem heraus, ob man will oder nicht.
Aber jetzt, wo ich tageintagaus eigentlich dasselbe, anstregende mache, und zwar nicht die geistig anregendsten Dinge, sitzen die Sätze tief drinnen und wollen nicht mehr raus. Wenn ich sie extra rauspresse, wehren sie sich, versperren sich und würgen sich bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt den Weg hierrein, wenn sie es überhaupt soweit schaffen.
Schade, das.
Ich sage euch, heute ist der Tag gekommen. Jetzt sitze ich hier, mit einem niegelnagelneuen Laptop. Geschenkt.
Und wie fühlt sich das an? Zuerst musste ich mir mal die Nägel kürzen, weil lange Nägel und Laptoptasten vertragen sich nicht. Und wo ist eigentlich die Entf-Taste?
Daran gewöhnt sich mal einer.
Überhaupt ist in dieser Wohnung die Laptopzeit ausgebrochen, das kleine Mädchen hat jetzt auch so ein Ding. Etwas kleiner als meiner hier, und wehe man lädt ein Programm drauf, aber schick, mit selbstgenähtem Plüschschutz drumrum. Der Plüschschutz gefällt dem kleinen Mädchen am ganzen Teil wohl am allerbesten, schätze ich.
(feilt einen weiteren Nagel zurecht)
Es hat sich vieles gebessert, hier, in letzter Zeit.
Kerlchen und ich haben uns Anfang des Jahres echtes Bettzeug geleistet. Aus Kamelhaar. (Und ja, mit Bettzeug meine ich das innen, nicht das drumrum und nein, Kamel musste dafür keines sterben.) Dazu ein geschenkter Laptop, eine Weltkarte, glänzende Schuhe, die atmen und ein Zelt, mit dem demnächst in die Slowakei gereist wird. (Slowakei ist übrigens ein Land, das touristisch unerschlossen, wunderschön, nah und dazu sehr günstig ist. Niemand reist dahin, deshalb kosten die Campingplätze auch zw. 1 - 3 Euro die Nacht. Möglicherweise aber ohne Klo.)

Das alles sind Neuerungen, aus Gründen eines fertigen Studiums, das jetzt endlich Früchte trägt. Es gibt plötzlich Arbeit, Lohn und dazu Freizeit, in der man den Lohn wieder ausgeben kann. So funktioniert Erwachsenenleben. Unlängst hat mir jemand erklärt, freie Tage seien ein Teufelswerk, von der Wirtschaft erfunden, die nur darauf aus ist, dass man den hart verdienten Lohn gleich wieder ausgibt.
Ich arbeite daran, all den Erwachsenenkram verstehen zu lernen. Man wächst da rein, schätze ich und plötzlich trägt man Seidenstrumpfhosen, dazu atmende Schuhe und muss darauf achten, dass man nicht vor sich selbst erschrickt.

Dienstag, Mai 6

Wenn ich alles vergessen habe, woran ich glaube, weil der Alltag mich hat und nicht wieder ausspucken mag. Alles viel zu schnell, viel zu hastig abgespult, nicht eins nach dem anderen, alles gleichzeitig und querüber, ungeduldig, halbgar, ungenossen. Mehrere Tage vergehen, wo mir das Abendessen egal, ich bemerke gar nicht, was ich esse, schnell runter geschlungen, währenddessen den anderen, die selbst genug zu tun haben, vom übervollen Tag erzählt,...

Soll so das Leben sein? Das wird schon wieder, wenn ich dies und jenes hinter mich gebracht habe, ja?

Weiß ich noch, wer mir heute mein Abendessen, meinen Kaffee gekocht,
weiß ich schon noch, wer mich gestern angerufen und nach meinem Befinden gefragt,
weiß ich schon noch, dass ich mich um meinen Freund auch kümmern muss
und dass der nicht einfach neben dran läuft und sich alles anhört,
was ich allein nicht verarbeiten kann.
Und dieses Blog? Verwahrlost, weil ich über meine beiden Arbeiten hier drin nicht reden kann und sie zurzeit alles sind, was ich denken kann?

Keine Zeit mehr für Nagellack, Bücher, Rezepte, Leute, Vokabeln, Sätze formen, Nettsein, endlich mal die Interviews für die Großeltern zusammenstellen.
Stöhnen, schnaufen, hecheln, im Gedankenrad rennen, nicht mehr schlafen können.

Und immerzu denken: Das eine noch, wenn ich das erledigt habe, dann geht es wieder, dann wird alles gut.


Und dann kommt das Kerlchen und sagt einem, dass man nicht glauben muss, dass das irgendwann aufhört, wenn man es geschafft hätte. Wenn man einen besseren Job, eine andere Wohnung, französisch gelernt, neue Freunde, einen Garten, Tolstoi gelesen hätte.

Es hört nicht auf.
Es läuft genauso so weiter, für immer, wenn man es zulässt.

Montag, Mai 5

Einen guten Mann hat man abgekriegt, wenn er einkaufen geht und fragt, was soll ich mitbringen und man sagen kann, Schatz, ich kann jetzt nicht, was du meinst und er geht, Kuss, und bringt das Richtige.

Sonntag, Mai 4

Arbeitsrecht. Arbeitsrechtsprobleme.

Erwachsenenprobleme, die mag ich nicht haben, nein. Dies ist kein Gedicht, es ist die Leier des echten wahren Lebens, das mich nicht mag. Es mag mich nicht, dabei hielt ich soviel davon, erwachsen zu werden und endlich alles zu dürfen, was mir gefällt. Was ich will.
Und jetzt? Honorarnoten, Dienstverträge, Diskussionsrunden, Gewerkschaft! Und das Einerlei der Arbeit, von der man nicht weiß, ob sie je bezahlt wird. Mit echtem Geld, über dem Mindestlohn. Ist ja nichts selbstverständlich heutzutage, nichts!
Ich mag eigentlich nur mehr ins Bett liegen, unter die Decke und niemanden mehr sehen.
Das allgemeine Essen in dieser Wohnung wurde kurzfristig von mir abgeschafft, weil mein echtes Leben mich sosehr quält, dass ich nicht mal mehr die Muse finde, meine Mitbewohner am Esstisch durchzufüttern. Dabei mag ich das, also früher. Als ich noch mit Muttern versichert war.
Verhältnisse sind das.
Und all das so aus der Fassung bringend, dass ich sogar vergessen habe, Bib-Bücher zurückzutragen. Das vergesse ich nie.
Die kleine Schwester ist auch ausgezogen, endgültig. Aber nur 100 Schritte weiter, in die dunkle Ecke der Gegend. Nunja, aber innen hell, trotz Teppich.
Ich mag nicht mehr, ich will klein sein. Wo man sich beschweren kann, dass man kein Kirschjoghurt abbekommen hätte und die Bettwäsche mit dem Schmetterling bereits vergeben ist. Oder zurück, dahin, wo man für Zigaretten und Alkohol arbeiten gegangen ist.
Weil man jemand hatte, der Miete, Strom, Gas, Gis bezahlt hat. Einfach so.
Und eine Putzfrau, die alle 2 Wochen das Heimzimmer aufgesperrt und nass rausgewischt hat.
Oder: Wo man noch Zeit für Nagellack hatte, dahin will ich.

Freitag, Mai 2

Ich beginne langsam zu verstehen, warum es so viele Trenzer gibt, die mit 50 noch ihrer Studentenzeit nachtrauern. Ich bin auch so jemand, jetzt schon.
Echtes Erwachsensein ist so entbehrlich, kaum in Worte zu fassen.