Samstag, März 13

Der Mann führt zwei Couchsurfer durch die Stadt. Sie kommen aus Budapest, ein freundliches, junges Pärchen. Sie haben sich den Mann extra rausgesucht. Er begleitet sie durch seine Stadt. Erzählt darüber, als hätte er schon immer hier gewohnt. Er hat sie in nur vier Jahren auswendig gelernt. Im Gegensatz zu mir, ist er rausgegangen, überall hingelaufen, zu Fuß, mit allen Linien gefahren, mit dem Fahrrad, er ist überall reingegangen, in all die monumentalen Häuser, in alle Museen. Er hat sich die Stadt eigen gemacht.

Er kann im Spaß reden wie die Leute hier, er kann kochen wie die Leute hier, er kennt jeden Stand am Naschmarkt, jeden Falafelpreis, jeden Ökobauern. Er traut sich was. Er lädt sich die Menschen ein. Er macht sich seine Umgebung eigen.

Ich bin da gar nicht so, schaue ihm aber gern dabei zu. Und lerne.

Jahrelang konnte ich mich prima in meinem Studentenheimzimmer verstecken, nur meine Haare haben geleuchtet, sonst hat man kaum etwas von mir gesehen. Ich bin nie weiter als zur Trafik oder zum Tante-Emma-Laden gegangen, manchmal zur Uni. Aber da auch nur schnell rein und wieder raus, damit mich keiner anspricht.

Ich war schon als Kind exzessiv schüchtern. Im Kindergarten gab es eine Mädchengang, die sich immer in der Puppenstube auf der Hochebene aufhielt. Einmal nur stieg ich die Treppen hoch und begehrte Einlass. Nach einem einmaligen Nein kehrte ich um. Ich versuchte danach nie wieder, hinauf zu gehen. Jetzt ist das für mich unverständlich. Die Kinder heute bei uns im Kindergarten würden sich von einer einmaligen Abweisung nie abschrecken lassen. Sie würden kämpfen, um reinzukommen, kämpfen um die Freundschaft. Um ihr Recht auf Raum.

Jetzt schaue ich dem Mann zu und sehe. So viele Dinge in meinem Leben waren unnötig, hätte ich schon früher einen solchen Freund gehabt wie ihn.
Ich übe. Ich setze mich zwischen die Couchsurfer und erzähle auf englisch, wer ich bin. Meistens bin ich erstaunt, wie die Leute reagieren. Sie mögen mich.

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